24.05.2013 – Kategorie: Fertigung & Prototyping, Sonstiges, Technik
Assistenzsysteme verbessern Zusammenspiel zwischen Mensch und Maschine
Assistenzsysteme: Gerald Pirkl, Universität Passau, im Gespräch
AUTOCAD Magazin: Was gab den Ausschlag dafür, das Projekt AsProMed ins Leben zu rufen?
Gerald Pirkl: Eine besondere Herausforderung von AsProMed ist es, ein System zu entwickeln, das behinderten Menschen hilft, ihre Arbeit zu verrichten. Behinderungen schränken auf jeden Fall mögliche Arbeitsbereiche ein. Wir wollten ein System aufbauen das unterstützt – nicht den Menschen wegrationalisiert.
Ein Industrieroboter soll hier gemeinsam mit dem Mitarbeiter verschiedene Arbeitsschritte erledigen. Er übernimmt die Schritte, die für den Menschen bedingt durch deren Behinderung schwer zu erledigen sind. Der Mensch übernimmt die Kontrolle über den Arbeitsschritt und kann so mithilfe des Roboters trotz seiner Behinderung komplexe Arbeiten verrichten.
Besonders interessant dabei waren die Fragestellungen: Welche Sensoren und Interaktionsmöglichkeiten gibt es? Ist es überhaupt technisch machbar? Wie kann das System dem Benutzer visuelle Rückmeldung geben? Wie kann man Sicherheit gewährleisten? Wie kann oder muss die Benutzerschnittstelle für ein System aussehen, das von Benutzergruppen mit unterschiedlichen Fähigkeiten verwendet wird?
Gerald Pirkl, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Passau: „Die einzelnen neuen Teilkomponenten für Visualisierung, Sicherheit und Lokalisierung ermöglichen einen einfacheren Umgang mit Industrierobotern, beschleunigen so das Einrichten von neuen Roboteranlagen und Produktionsaufgaben und reduzieren somit die Kosten die dabei entstehen.“
AUTOCAD Magazin: Könnten Sie, bitte, die Aufgabenverteilung zwischen den Projektbeteiligten beschreiben?
Gerald Pirkl: Das AsProMed-Projekt ist als Grundlagenforschung im Bereich der robotergestützten Assistenzsystem zu sehen. Projektpartner sind folgende Institutionen: Diakonie Neuendettelsau: Anwender, Sensorik Bayern GmbH, Regensburg (wissenschaftliche Begleitung), Reis Robotics (Projektkoordination, Roboter + Robotersteuerung, Regelungstechnik), Uni Würzburg, Lehrstuhl für Robotik und Telematik (Augmented Reality, Nutzer- und Kommunikationsschnittstelle), FAPS Erlangen (Sicherheit mittels PMD Kamera, Bahnplanung und -anpassung), Universität Passau, Lehrstuhl für Eingebettete Systeme (Sensorik und Benutzerschnittstelle)
AUTOCAD Magazin: Was ist der Beitrag der Uni Passau?
Gerald Pirkl: Der Lehrstuhl für Eingebettete Systeme ist im Projekt AsProMed sowohl für den Sensorteil als auch für die behindertengerechte Benutzerinteraktion verantwortlich. Insbesondere soll eine Schnittstelle zwischen Mensch und Roboter(steuerung) erforscht und bereitgestellt werden. Eine intuitive Steuerungs- und Eingabemöglichkeit ist hierfür ein Sensor-Zeigestift, mit dem der Mensch auf einen bestimmten Punkt deutet.
Mittels einer Kombination mehrerer Lokalisierungssysteme soll eine sub-mm-genaue Positions- und Lageerfassung eines Eingabestiftes erreicht werden. Wir haben uns in AsProMed für ein oszillierendes Magnetfeldsensorsystem und ein kamerabasiertes Lokalisierungssystem entschieden. Diese Positionsvorgaben können dann zum einen zur Erfassung der Abmessungen von Gegenständen verwendet, oder zum anderen dem Roboter als Positionsvorgaben übergeben werden.
AUTOCAD Magazin: Welche Gesichtspunkte waren bei der Entwicklung besonders wichtig?
Gerald Pirkl: Grundsätzliche Frage: Wie kann dem Menschen die Interaktion mit dem Roboter erleichtert werden? Durch eine Benutzerstudie bei der Diakonie haben wir verschiedene Benutzergruppen identifiziert, die unterschiedlich komplexe Anforderungen an das Robotersystem haben:
- der Techniker, der das Robotersystem aufbaut und einrichtet;
- der Gruppenleiter, der die Anlage überwacht, neue Produktionsaufträge verwaltet, plant und freischaltet;
- der eigentliche Arbeiter, der diese Produktionsaufträge dann bearbeitet.
Wir wollten von Anfang an dem Menschen möglichst viele Freiheiten bei der Interaktion mit dem Roboter und der Umgebung lassen; zusammen mit der direkten Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine steht der Sicherheitsaspekt hier also ganz weit oben. Um diese Sicherheitskriterien zu erfüllen überwacht eine PMD Kamera den Arbeitsbereich des Roboters und kann aktiv in dessen Bahnplanung eingreifen, somit Gegenstände in der Bewegungsbahn des Roboters umfahren beziehungsweise diesen anhalten, um Kollisionen und Verletzungen zu vermeiden.
Die Einrichtung und Erzeugung neuer Roboterprogramme ist ein komplexes Unterfangen, Hauptprobleme dabei sind die Positionsvorgaben im Raum sowie die Vermeidung von Kollisionen mit Objekten im Arbeitsraum. Diese Problematik wird teilweise durch einen intuitiven Zeigestift gelöst, hierbei erfasst das System die Lage und Position des Stiftes im Raum und gibt diese Information an den Roboter weiter. An einem Bildschirm kann der Benutzer außerdem schrittweise durch das Positionsprogramm gehen und kann sich mittels einer Augmented-Reality Anzeige die neuen Roboterpositionen und -bewegungen in der aktuellen Umgebung einblenden lassen – so lassen sich schon vor der eigentlichen Roboterbewegung drohende Kollisionen erkennen und somit umgehen.
AUTOCAD Magazin: Was unterscheidet diese Roboter von den heute zum Beispiel in der Fertigung üblichen Systemen?
Gerald Pirkl: Wir verwenden einen Standard-Reis-Roboter, wie er zum Beispiel auch in industriellen Anlagen eingesetzt wird. In der Fertigung eingesetzte Systeme müssen allerdings nicht mit der Umwelt oder mit Menschen interagieren. Schutzkäfige um den Roboterbereich verhindern, dass Personen den Arbeitsbereich während der Roboterfahrt betreten, während der Roboter aktiv ist. Wird ein solcher Käfig geöffnet, schaltet sich die Anlage automatisch ab und stoppt somit die Bewegung des Roboters. Wir wollen im AsProMed Projekt Konzepte entwickeln, die Informationen aus der
Umgebungsüberwachung während der Robotersteuerung berücksichtigen. Durch das Anbringen von Sensor- und Rückmeldungskomponenten ermöglichen wir es dem Roboter, seine Umgebung zu erfassen und auf potentielle Hindernisse wie Personen oder Gegenstände aktiv reagieren zu können. Ist eine Umfahrung des Objektes möglich, so wird die anzufahrende Bewegungsbahn dementsprechend angepasst, ist dies nicht möglich, so wird die Bewegung gestoppt und so lange gewartet, bis die Bewegungsbahn wieder frei ist.
AUTOCAD Magazin: Das Beispiel der Diakonie Neuendettelsauu zeigt ja, dass die Roboter ausgesprochen genau agieren müssen. Wie wird dies realisiert?
Gerald Pirkl: Wir bauen gerade einen Demonstrator auf, in den die Arbeiten der verschiedenen Projektpartner integriert werden: Wir haben uns im Projekt für das Nageln von (Holz-)Paletten entschieden, da hier der größte Teil der erforschten Funktionen einsetzbar ist. Der Roboter soll einen 5 Kilogramm schweren Druckluftnagler an vordefinierte Punkte (Nagelzonen) bewegen und dann automatisch Nägel in die Palettenteile an diesen Zonen treiben. Der verwendete Reis-Roboter bietet hierfür die nötige Wiederholgenauigkeit, Reichweite und Kraft. Um dem Roboter die Positionen sowie Ausrichtungen an den Nagelzonen vorgeben zu können, verwenden wir eine Kombination verschiedener Lokalisierungstechniken: In der Anfangsphase des Projektes führten wir eine Analyse vorhandener Lokalisierungssystem durch. Entsprechend den gestellten Anforderungen und Umgebungsparametern des industriellen Einsatzes wählten wir dann die passenden Systeme aus.Wir haben uns deshalb für ein Lokalisierungssystem entschieden, das oszillierende Magnetfelder verwendet, um die Position eines Eingabestiftes grob zu ermitteln. Diese Grobposition wird dann verwendet, um zwei Kameras, die am Roboterarm angebracht wurden, so zu positionieren, dass sie den Eingabestift aus zwei verschiedenen Blickwinkeln aufzeichnen. Aus den beiden Bildern kann dann die absolute Position und Ausrichtung des Eingabestiftes präzise berechnet werden. Sind die Punkte eingegeben, bietet das Augmented Reality System der Universität Würzburg die Möglichkeit, verschiedene Informationen vorab in der Arbeitsumgebung zu betrachten: Wo befinden sich die neu erlernten Nagelzonen? Wie werden die Achsstellungen des Roboters am nächsten Punkt sein? Auf welcher Bahn und wohin bewegt sich der Roboter? Können gegebenenfalls Kollisionen mit Gegenständen auftreten? All diese Punkte sind somit schon vor der eigentlichen Abarbeitung des Roboterprogramms kontrollierbar.
Die Anzeigen wie zum Beispiel die Achsstellungen des Roboters erfolgen entweder als Einblendung eines virtuellen 3D-Modells in ein aktuelles Kamerabild der Umgebung, oder aber per Projektor: Mit diesem projektionsbasierten System können Zusatzinformationen wie die eingelernten Positionen des Eingabestifts, Hinweise auf anstehende Roboterbewegungen oder Auflagepositionen der Palettenkomponenten direkt in die Arbeitsumgebung eingeblendet werden; diese Einblendungen werden je nach Benutzer und Systemstatus kontextspezifisch angepasst.
Nach Abschluss der ‚Lernphase’ kann der Roboter nun diese Positionen anfahren und bearbeiten. Im industriellen Umfeld sind die Roboter von Metallkäfigen umgeben, damit keine Personen in den Bewegungsbereich der Roboter treten können. Diese Schutzmechanismen fallen in unserem Projekt weg, eine PMD Kamera und die nötigen Algorithmen (entwickelt vom FAPS Erlangen) überwachen kontinuierlich den Arbeitsbereich des Roboters und können aktiv in den Bewegungsablauf des Roboters eingreifen. Geschwindigkeit und Bahnplanung (kann ein erkanntes Objekt gegebenenfalls umfahren werden?) werden an die jeweilige Situation angepasst.
AUTOCAD Magazin: Wie komplex können die Aufgaben sein, die der Roboter übernimmt?
Gerald Pirkl: Wir haben uns, wie schon erwähnt, für einen Prototypen zum Bau von Paletten entschieden. Der Roboter übernimmt hierbei nur das Positionieren des Druckluftnagelgerätes sowie das Auslösen des Nagelvorgangs; es wäre aber beispielsweise durchaus auch vorstellbar, dass der Roboter die fertige Palette vom Tisch in den Abtransportbereich hebt.
Grundsätzlich stellen sich für die möglichen Aufgabenbereiche mehrere Fragen: Kann der Roboter die gewünschte Position erreichen und wie hoch ist der Aufwand, ein passendes Werkzeug für die Aktion zu bauen. Das von der Universität Passau entwickelte Lokalisierungssystem zur Roboterpositionsvorgabe bietet eine intuitive Möglichkeit durch Zeigen die für den Roboter für jegliche Aufgaben nötigen Positionen im Raum zu bestimmen. Diese Punkte sind immer als Grundlage von Aktionen zu sehen.
AUTOCAD Magazin: Was müssen andererseits die Anwender wissen und können, damit sie optimal mit den Robotern zusammenarbeiten können? Was bietet ihnen die „Benutzeroberfläche“ um das zu erreichen?
Gerald Pirkl: Vor Beginn der eigentlichen Forschungsarbeit haben sich die Projektteilnehmer die verschiedenen Werkstätten der Diakonie Neuendettelsau angesehen und haben im Rahmen einer Benutzerstudie die möglichen Szenarien genauer analysiert. Besonderes Augenmerk lag dabei auf den Arbeitsabläufen sowie auf den nötigen geistigen und körperlichen Voraussetzungen zur Bearbeitung der jeweiligen Tätigkeiten. Die Projektmitarbeiter erkannten dabei, dass es verschiedene Typen gibt: Die Techniker, die den Roboter aufbauen und einrichten, die Gruppenleiter, die für die Überwachung von Aufträgen zuständig sind, und die eigentlichen Arbeiter, die einzelnen Aufträge dann abarbeiten. Jeder der genannten Typen hat spezielle Anforderungen an den Roboter und an die Interaktionsschnittstelle.
Die Benutzerstudie ermöglichte es uns, für jede der Gruppen intuitive und speziell für ihre Aufgaben angepasste Benutzeroberflächen zu erstellen. Der Robotertechniker hat detailliertes und vorab erworbenes Wissen über interne Steuerungsabläufe auf Hard- und Softwareebene. Dementsprechend detailliert sind hier auch seine Zugriffsmöglichkeiten und die für ihn erstellte Steuerungsoberfläche, die die verschiedenen Komponenten unseres Systems kontrollieren.
Der Gruppenleiter ist im konkreten Anwendungsfall für die Erstellung neuer Palettentypen zuständig. Er verwendet den Zeigestift, um neue Positionen an der Palette im Raum zu erfassen und somit Schritt für Schritt den Arbeitsvorgang für einen neuen Palettentyp zu definieren. Nach Abschluss des Erstellungsvorgangs kann er einen (neuen) Palettentyp auswählen und die zu bauende Anzahl an Paletten eingeben.
Der Arbeiter bearbeitet dann die Aufträge; dafür legt er zunächst die Holzteile auf den Palettentisch aus. Ausrichtung und Reihenfolge der Komponenten können dem Mitarbeiter über ein Projektionssystem angezeigt werden. Er kann somit die Bauteile genau ausrichten. Hat der Mitarbeiter die Komponenten ausgelegt, so kann er über einen drucksensitiven Bildschirm (wie zum Beispiel ein Tablet) den Nagelvorgang für die ausgewählte Zone auslösen: Der Roboter fährt von seiner Ausgangsposition zur gewünschten Position und treibt den Nagel in das Holz. Durch die unterschiedliche Komplexität der Nutzerschnittstellen und Zugriffsmöglichkeiten ist sichergestellt, dass jede Personengruppe ihre Aufgaben leicht erledigen kann, gegebenenfalls auch ohne dass spezielle Kenntnisse in der Robotik oder von Maschinendaten notwendig sind.
AUTOCAD Magazin: Wenn Sie einmal zwei, drei Jahre in die Zukunft schauen: Wo werden dann die Lösungen dann bereits im Einsatz sein?
Gerald Pirkl: Die einzelnen neuen Teilkomponenten für Visualisierung, Sicherheit und Lokalisierung haben definitiv das Potential, in industriellen Projekten zum Einsatz zu kommen. Sie ermöglichen einen einfacheren Umgang mit Industrierobotern, beschleunigen so das Einrichten von neuen Roboteranlagen und Produktionsaufgaben und reduzieren somit die Kosten die dabei entstehen.
Die Augmented-Reality-Darstellungen können für ein schnelles und intuitives Verständnis der recht komplexen Daten im Kontext von Industrierobotern eingesetzt werden, beispielsweise in der Ausbildung beim Umgang mit Manipulatoren oder in der Praxis, um häufige Änderungen an Arbeitsprogrammen schnell und sicher erledigen zu können. In Werkstätten wie zum Beispiel der Lebenshilfe oder der Diakonie könnten diese Robotersysteme Menschen mit schwerer Behinderung helfen, optimal am Arbeitsleben beteiligt zu werden: Der Roboter kann hier als Assistent dienen und Aufgaben übernehmen, die die Person – bedingt durch die Behinderung – nicht mehr durchführen kann. Auch ein temporärer Einsatz zur Entlastung eines vorübergehend geschädigten Werkers in der Rehabilitationsphase ist denkbar.
AUTOCAD Magazin: Herr Pirkl, vielen Dank für die Gespräch.
Das Interview führte: Andreas Müller
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