10.06.2013 – Kategorie: Branchen, Hardware & IT
BIM: Durchgängig planen in 3D
Konstruktion und Produktentwicklung im Maschinenbau, der Luftfahrtindustrie oder erst recht in der Automobilindustrie sind heute ohne den Einsatz von 3D-CAD undenkbar. Produktdatenmanagementsysteme oder Product Life Cycle Management und 3D-CAD sind in diesen Bereichen absoluter Standard. Vielmehr halten hier bereits seit Jahren Verfahren wie Virtual Prototyping und Virtual Reality immer stärker Einzug in Produktentwicklungsprozesse der fertigenden Industrie und werden vor allem auch bei den großen Automobilbauern prozessintegriert genutzt. Auch die Thematik des Rapid Prototyping, also das Erstellen von physikalischen Prototypen zum Beispiel mit Hilfe von 3D-Druckern direkt aus den CAD-Daten, ist in diesen Branchen schon weit in der Prozesskette verbreitet.
Ein ganz anderes Bild zeigt sich im Bereich der Architektur und des Bauwesens: Hier herrscht die 2D-Planung, teilweise sogar auf dem Reißbrett ohne Computerunterstützung, noch immer vor. Dabei nutzt man gerade in der Architektur rege und schon seit langem digitale (pseudo) 3D-Modelle zu Präsentationszwecken von Bauwerken in Broschüren, auf Bauschildern oder in (vermeintlich) virtuellen Städtebaumodellen. Auch zur Entwurfsfindung oder bei Architektur-Wettbewerben werden 3D-Miniaturmodelle aus Holz oder Pappe aufwendig erstellt und eingesetzt. Diese Modelle, sowohl digital als auch physikalisch, werden jedoch in den meisten Fällen nachträglich oder zusätzlich aus den vorhandenen 2D-Planungsdaten generiert. Hinzu kommt, dass den meisten der vermeintlichen digitalen 3D-Modelle gar keine echten, vollumfänglichen 3D-Daten zugrunde liegen. Meist werden hier spezielle, nur für diese oder jene Abbildung, beziehungsweise den kurzen Animationsfilm benötigte Perspektiven erzeugt und in Bildbearbeitungsprogrammen mit mehr oder weniger Zusatzaufwand vermeintlich dreidimensional erstellt. Soll nun etwas am Entwurf des Bauwerks oder nur die Perspektive der vermeintlichen 3D-Abbildung geändert werden, beginnt die Arbeit mehr oder weniger von vorne. Ein Holz- oder Pappmodell des Gebäudes müsste bei einer Entwurfsänderung eventuell sogar komplett neu gebaut werden.
Architektur ist Kommunikation
An dieser Stelle bietet die durchgängige Modellierung in einem 3D-CAD-System zahlreiche Vorteile. Der Architekt hat die Möglichkeit, flexibel mit seinem Modell zu arbeiten und es sowohl äußerlich als auch von innen weiterzuentwickeln. Kommen dann zum 3D-CAD-Modell auch noch Materialien und Texturen, also digitale Beschreibungen der Oberfläche (Farbe und Beschaffenheit) der einzelnen Bauteile hinzu, entsteht ein vollständiges digitales Gebäudemodell. In diesem Modell lassen sich neben Veränderungen der eigentlichen Geometrie (Raumaufteilung, Fensteranordnung, Dachform usw.) auch zum Beispiel die Wandfarbe der Fassade leicht von Weiß auf Gelb oder das Material der Innenwände von Putz auf zum Beispiel Fliesen ändern. Einmal begonnen, kann das 3D-Modell vom groben Gebäudeentwurf bis hin zum kompletten Bauwerk inklusive Haustechnik und Möblierung leicht fortgeschrieben, wieder verändert oder erweitert werden.
Der eigenen Fantasie sind hierbei keine Grenzen gesetzt. Ein kreatives und flexibles Arbeiten ist also gewährleistet. Vorteile eines umfangreichen Gebäudemodells werden vor allem dann sichtbar, wenn man sich den Kommunikationsbedarf bei heutigen Bauvorhaben bewusst macht. Die These „Architektur ist Kommunikation“ wird dabei sehr schnell sehr vielschichtig. Befanden sich zu Beginn der menschlichen Entwicklung noch Bauherr, Bauarbeiter und Planer in Personalunion, so trennten sich diese Bereiche im Laufe einiger Jahrtausende. Die Anforderung an Kommunikation von Bedürfnissen, künstlerischem und architektonischem Anspruch oder der Vermittlung der Bauaufgabe, wird, parallel zur Komplexität der Bauaufgabe, immer größer, die Kommunikation im Planungskreis zunehmend wichtiger. Neue Möglichkeiten in der Berechnung, der Simulation und der Bautechnologie erweitern hierbei die architektonischen Möglichkeiten, aber auch den Kommunikationsbedarf.
Zur Visualisierung seiner Gebäude nutzt zum Beispiel ein deutscher Fertighausanbieter virtuell begehbare 3D-Modelle im Kontakt mit seinen Kunden. Die potenziellen Käufer können im Internet einen virtuellen Rundgang durch die angebotenen Häuser machen. Auf diese Weise gewinnen sie einen ersten Eindruck der Räumlichkeiten des Hauses, ohne je ein reales Haus des Herstellers besucht zu haben.
Übertragen auf ein individuell geplantes Gebäude, kann das 3D-Architekturmodell auf diese oder ähnliche Weise zur Beratung und Absprache mit dem Bauherrn noch vielfältiger eingesetzt werden.
3D-Modell in früher Projektphase
Wie in der Einleitung aufgeführt, wurde das neue Gebäude des KVE Rhein-Neckar durchgängig in 3D-CAD entwickelt und geplant. Dieser Prozess begann im konkreten Fall bereits vor der eigentlichen Vergabe in einem kleinen Architektur-Wettbewerb. Das letzten Endes mit der Ausführung beauftragte Büro „Staab Architekten (Berlin)“ fertigte schon in dieser frühen Projektphase ein erstes digitales 3D-Modell ihres Entwurfs an. Dieses Modell war zu Beginn sehr einfach gehalten, konnte dann aber kontinuierlich weiterentwickelt werden. Aus den 3D-Daten dieses ersten groben Entwurfs (Bild 1) ließ sich mit Hilfe eines 3D-Druckers ein physikalisches 3D-Modell des Gebäudes erzeugen.
Der verwendete Drucker arbeitet nach dem Prinzip der Schmelzschichtung (FDM, Fused Deposition Modeling) und erlaubt die Fertigung von montagefertigen und vollbeweglichen Prototypen. Hierzu werden die 3D-CAD-Daten, genau wie ein Dokument bei einem normalen Drucker, einfach an den Druckertreiber gesendet. Im hier vorliegenden Fall wird als Modellmaterial ABS-Kunststoff verwendet. Zusätzlich kommt ein zweites, wasserlösliches Stützmaterial zum Einsatz, um das Erstellen von Hohlräumen und Überhängen zu ermöglichen. Das Stützmaterial wird nach dem Bauvorgang herausgewaschen und geht damit verloren.
Das ausgedruckte Gebäudemodell bekam anschließend noch eine Acrylglas-Fassade, um die Charakteristik des geplanten Gebäudes vollends wiederzugeben. (Bild 2) Darüber hinaus wurden natürlich auch computererzeugte Ansichten (ähnlich Bild 10) erstellt, um einen ersten Eindruck vom geplanten Neubau im Bestand zu erhalten.
Kollisionen vermeiden
An dieser Stelle sei noch einmal ausdrücklich darauf hingewiesen, dass alle in diesem Artikel beschriebenen Anwendungen auf ein und demselben digitalen 3D-Modell beruhen. Es wurde für keine Anwendung ein eigenes, neues Modell erstellt, lediglich kleinere Anpassungen oder Konvertierungen waren nötig, um alle aufgezeigten Möglichkeiten zu realisieren. Dies zeigt, dass ein durchgängiger Einsatz eines digitalen, dreidimensionalen Gebäudemodells erhebliche Zeit- und Kostenvorteile bringen kann.
Im weiteren Planungsverlauf wurde explizit darauf geachtet, dass nicht nur das Gebäudemodell an sich weiter in 3D entwickelt wurde, sondern auch die Planungen der einzelnen Fachplaner, soweit möglich in 3D-CAD erfolgten. Ziel war, zu jedem Planungsstand relativ kurzfristig ein vollständiges Gebäudemodell verfügbar zu haben. So wurde auch die komplette Heizungs-, Lüftungs-, Sanitär- und Klima-Planung durch das Ingenieurbüro „Halter (Otterstadt)“ dreidimensional durchgeführt. (Bild 3)
Darüber hinaus pflegte das Büro auch die wichtigsten Komponenten der Elektro-Planung (Kabelpritschen, Schaltschränke usw.) mit in das digitale Technik-3D-Modell ein, da hierfür die Ressourcen beim eigentlichen Planungsbüro für die Elektrik nicht zur Verfügung standen. Dieser Schritt der Erzeugung eines vollständigen 3D-Modells ist jedoch unumgänglich, um die gesamten Vorteile der 3D-Planung ausnutzen zu können. So war es beispielsweise schon in frühen Planungsphasen möglich, Kollisionen der einzelnen Gewerke zu vermeiden.
3D-Projektion für virtuelle Begehung
In dieser Projektphase wurde auch die am KVE vorhandene Cave zum ersten Mal in den Planungsprozess des neuen Gebäudes integriert. Unter einer Cave (Cave Automatic Virtual Environment) versteht man einen Raum, bei dem die Wände als Projektionswände ausgelegt sind. Sie kann bei einem rechteckigen Raum sowohl auf alle vier Wände, als auch auf den Fußboden und die Decke projiziert werden, vergleichbar mit einem Mehrseiten-3D-Kino. Die Cave des KVE besteht zurzeit aus drei Wänden sowie einem projizierten Fußboden. Im Unterschied zum 3D-Kino laufen in dieser Cave nun jedoch keine fertig vordefinierten Filme oder Animationen, sondern ein 3D-Modell, mit dem man frei interagieren kann. In der Cave können so etwa Bauteile, Maschinen oder alle sonstigen digitalen 3D-Modelle virtuell dreidimensional analysiert werden. Durch Computer und Video-Projektoren werden dabei dreidimensionale Bilder projiziert, die dem Betrachter den Eindruck geben, sich direkt im jeweiligen 3D-Modell zu befinden.
In dieser Cave konnte nun der KVE-Neubau bereits von Beginn der Planung an virtuell, stereoskopisch im Maßstab 1:1 begangen werden. Zur Begutachtung der Haustechnik wurden die 3D-Modelle von Gebäude und Technik vereint und in der Cave geladen. Hierbei wurden alle Innenwände teiltransparent visualisiert, um auch die Technik (zum Beispiel Rohrleitungen) sehen zu können, die im fertigen Gebäude in den Wänden verborgen sein wird. (Bild 4)
Die Vorteile einer solchen virtuellen Baubegehung liegen auf der Hand. Problemstellen und Platzprobleme können intuitiv, ohne das aufwändige Erstellen von Deckenspiegeln oder ähnliche Maßnahmen, identifiziert werden. Das Durchspielen von Einbau- oder Wartungsszenarien ist durch die räumliche Darstellung bereits in einer Phase möglich, in der der reale Bau noch nicht einmal begonnen wurde. Die Kommunikation, gerade auch mit nicht Fachkundigen, wird erheblich vereinfacht und unterstützt. Und letzten Endes erhalten alle Projektbeteiligten durch die Darstellung und Begehung im realen Maßstab ein noch viel besseres Gefühl für Räumlichkeiten und Proportionen des Bauwerks.
Im Zuge der weiteren Planung und Detaillierung wurde die Kommunikationsplattform der Cave immer wieder eingesetzt.
BIM über die Planung hinaus
Zum Abschluss der Planungsphase erfolgte neben der abschließenden Generierung von 2D-Zeichnungen aus dem 3D-Modell (Bilder 5 und 6) noch einmal der Druck eines Kunststoffmodells.
Dieses Detailmodell wurde mit der gesamten Innenausstattung und Haustechnik erstellt. (Bild 7) Als Besonderheit wurde das Miniaturgebäude mit einer Schnittebene erzeugt, die es ermöglicht, in das Gebäudemodell hineinzuschauen. (Bild 8) Auf den aus den Ausführungsplänen zu erkennenden Kellerraum wurde in diesem Modell verzichtet, um es einfacher auf einen Tisch stellen zu können. Technisch wäre es jedoch genauso möglich gewesen, das Gebäude mit allen drei Geschossen zu drucken.
Die Ableitung von 2D-Zeichnungen in jeglicher Form (Schnitte, Grundrisse, Ansichten, Projektionen usw.) aus dem gesamten 3D-Modell erfolgte natürlich über die gesamte Projektlaufzeit hinweg. Da dies jedoch heute schon zum Standard gehört, soll in dieser Abhandlung nicht weiter darauf eingegangen werden. Neben dem Erzeugen von fotorealistischen Ansichten des Bauwerks (Bild 9) ist es ebenfalls möglich, komplette Animationssequenzen mit Kamerafahrten um und durch das Gebäude zu erzeugen. Dieser Vorteil entsteht ebenfalls nur durch das Vorhandensein des gesamten digitalen 3D-Modells.
Um die Idee des Building Information Modeling (BIM) über den Planungsprozess hinaus umzusetzen, ist eine Verwendung des einmal entwickelten 3D-Modells natürlich auch im weiteren Lebenszyklus des Gebäudes möglich. Im konkreten Fall des KVE wurden beispielsweise verschiedene Möblierungsvarianten des großen Multimediaraums in der Cave durchgespielt. (Bild 10) Durch die freie und intuitive Interaktion des Benutzers mit dem Daten-Modell in der Cave ist es hier möglich, Tische, Stühle und Schränke einfach und virtuell in den Räumlichkeiten zu verschieben und sofort einen realen Gesamteindruck des Raumes zu erhalten.
Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass die hier vorgestellten und angesprochenen Funktionen und Vorteile eines durchgängigen 3D-CAD-Modells nur Ausschnitte des gesamten Themas darstellen. Bei vollständiger Umsetzung des BIM-Gedankens als einer Methode der optimierten Planung, Ausführung und Bewirtschaftung von Gebäuden mit Hilfe von Software ergeben sich noch viele weitere Vorteile. Die hier angeschnittenen Themen stellen jedoch das schon heute relativ einfach und problemlos Machbare dar. Sie sollen vor allem dazu anregen, über eine noch umfangreichere Einführung von 3D-CAD und Planung auch in Architektur und Bauwesen nachzudenken und diese im Idealfall anzustreben.
Ausdrücklich sei noch einmal darauf hingewiesen, dass die beschriebenen Schritte nicht in nur einer einzigen Softwarelösung realisiert wurden. Dennoch beruhen alle aufgezeigten Möglichkeiten auf einem einzigen 3D-Modell, das lediglich in verschiedene Programmlösungen importiert wurde. Hier ist aus Sicht der Datendurchgängigkeit zu begrüßen, dass die meisten Software-Unternehmen immer mehr in die Richtung gehen, sogenannte Software-Suiten anzubieten, die ein integriertes Programm-Portfolio mit BIM- und CAD-Werkzeugen beinhalten (zum Beispiel Autodesk). Dabei wird der Datenaustausch innerhalb dieser Suiten immer mehr optimiert. Darüber hinaus finden dabei softwareübergreifende Bibliotheken, zum Beispiel bei der Beschreibung von Oberflächen und Materialien, Verwendung.
Aus Sicht der Endnutzer der Software wäre es jedoch noch erfreulicher, wenn sich die Software-Unternehmen auf ein herstellerübergreifendes 3D-Austauschformat einigen könnten, das neben Geometrie auch zum Beispiel umfangreichere Materialdefinitionen enthält. (anm)
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