04.04.2014 – Kategorie: Branchen
BIM für die Dachkonstruktion
Von Stefanie Hilker
Der österreichische Stahlbauer Unger Steel Group ist verantwortlich für das Dach des neuen Wiener Hauptbahnhofs, einer anspruchsvollen Konstruktion, die in den nächsten Wochen fertiggestellt werden wird. Das teilweise transparente Dach besteht aus 14 Rautenfachwerken, die jeweils 76 Meter messen und in 15 Metern Höhe über dem Bahnsteig schweben. Diese Rauten bilden eine einzigartige Dachstruktur, in der kein Element dem anderen gleicht und keine zwei Bauteile rechtwinklig aufeinander stehen – eine große technische Herausforderung für die Konstrukteure von Unger Steel. Um diese komplexen und schwierig zu montierenden Strukturen zu bewältigen, entschieden sie sich für den Einsatz der Building-Information-Modeling (BIM)-Software Tekla Structures sowie für die Arbeit mit den robotischen Messgeräten von Trimble.
Dabei wurde von Beginn an konsequent nach der BIM-Methode gearbeitet. Die Ingenieure von Unger importierten das Modell des Architekten im Format 3D-DWG in die BIM-Software, um die Rauten zu entwickeln und detailliert auszuarbeiten. Sie erstellten konstruktionstaugliche Stahlstrukturen, ein detailliertes Modell von Haupt- und Nebenstrukturen (zum Beispiel Kabelkanäle) sowie Daten und Zeichnungen für Produktion und Montage. Bis zu zehn Konstrukteure arbeiteten im Multiuser-Modus an dem intelligenten Gebäudemodell. Bei der Planung müssen stets auch die anderen Bauprojekte im Stadtviertel bedacht werden. Zudem arbeiten auf der Baustelle zahlreiche andere Projektteilnehmer gleichzeitig an verschiedenen Elementen des entstehenden Gebäudes. Daher fügten die Ingenieure auch Bahnsteige, Gleise und Betonfundamente in das Modell ein, um mögliche Konflikte bereits in der Planungsphase zu erkennen und zu lösen.
Intelligente Verknüpfung
Das BIM-Modell enthält aber nicht nur detaillierte 3D-Konstruktionspläne für die 40.000 Quadratmeter große Dachfläche aus 5.000 Tonnen Stahl. Es wurde auch für die Koordination und Bauablaufplanung eingesetzt. Bereits bei der Ausschreibung nutzte Unger Steel das Modell für zuverlässige Schätzungen für die Angebotserstellung. Danach wurden sämtliche Transportlisten und Messungen direkt im Modell generiert. Die Software diente also auch als Kontrollwerkzeug für Produktion und Montage. Aufgrund der intelligenten Verknüpfung der einzelnen Bauteile im Modell werden die Auswirkungen jeder Änderung auf die anderen Bauteile unmittelbar erkannt. „Die erforderlichen Informationen für Weitergabe, Fertigung, Montage und Abrechnung werden im Modell zusammengefasst und stehen uns jederzeit zur Verfügung – schnell und mit der benötigten Detailtreue“, erläutert Erich Fladerer von Unger Steel.
Für die Fertigung der einzelnen Bauteile übertrug das Konstruktionsbüro die erforderlichen Daten direkt ins DSTV-Format und übermittelte sie über eine Schnittstelle an die Fertigungsmaschinen in der Werkstatt. Dieses Verfahren bietet bedeutende Vorteile: Zum einen kann die Produktion unmittelbar nach Abschluss der Planungsphase beginnen, zum anderen werden durch die automatische Übertragung der fertigungsrelevanten Informationen an die Produktion Fehler vermieden.
Sämtliche Bauteile am richtigen Ort
Auch die Montageplanung erfolgte auf Basis des BIM-Modells, da das Projekt höchste Präzision und exaktes Timing erfordert. Aufgrund der sehr beengten Platzverhältnisse auf der Baustelle ist es unabdingbar, dass sich sämtliche Bauteile stets am richtigen Ort befinden. Dabei können nicht einfach alle Bauelemente vor Ort gelagert werden – die komplexen Rauten müssen just in time angeliefert und sofort an Ort und Stelle verschraubt werden. Während das Baustellenteam bereits die ersten Rauten am Hauptbahnhof Wien montierte, lief die Produktion der restlichen Bauteile auf Hochtouren. Der gesamte Produktionsprozess einer Raute dauerte bis zur Montage durchschnittlich 3,5 Monate.
Platzierung der Bauteile
Zur Montage der Rauten verwendet das Konstruktionsteam von Unger erstmals die Trimble Totalstation in Verbindung mit Tekla Structures. Die Komponenten des Daches werden montiert, während sie an einem Kran hängen. Das Team benötigt daher exakte Platzierungsinformationen zur korrekten Einpassung der Komponenten in 15 Metern Höhe über den Bahnsteigen.
Die Platzierung der Bauteile des Dachs erfolgt in mehreren Schritten: Nach dem Schweißen vermisst das Team bei der Vormontage zunächst die Rauten mit der Totalstation. Die so ermittelten Daten werden in das BIM-Modell importiert, das Team kann notwendige Anpassungen vornehmen und die veränderten Daten zur Platzierung der Rauten wieder zurück in die Totalstation exportieren. Diese Messungen werden kontinuierlich durchgeführt, um Fertigungstoleranzen oder durch den Transport verursachte Deformationen zu ermitteln.
Zur Platzierung der Rauten vermisst Unger Steel außerdem die bereits errichteten Gebäudeteile an den Verbindungsstellen und überträgt die Messergebnisse in das BIM-Modell. Anschließend werden die Verbindungsteile für die Dachelemente geplant und gefertigt. Auf der Baustelle selbst werden mit der Totalstation die Gebäudeachsen markiert, um die Elemente bei der Anlieferung mit dem Kran zielsicher platzieren und zusammensetzen zu können.
Diese Vorgehensweise spart in vielerlei Hinsicht Zeit und Aufwand: Die automatische Datenübertragung zwischen BIM-Modell und Messgerät bedeutet, dass keine externen Vermesser mit der Überwachung der Konstruktion beauftragt werden mussten. Zusätzlich verhindert der Import der Daten die zeitaufwändige manuelle Übertragung. „Die Kombination aus BIM-Software und Totalstation war eine große Hilfe bei der Konstruktion. Diese Vorgehensweise werden wir bei künftigen Projekten wieder nutzen“, resümiert Fladerer. Die Fertigung und Montage der einzelnen Rauten wird in den nächsten Wochen planmäßig abgeschlossen werden.
Zugriff auf das aktuelle Modell
Das BIM-Modell erleichtert aber nicht nur die Konstruktion und Montage der Dachelemente, sondern ist auch Grundlage für die Kommunikation zwischen allen am Bau Beteiligten. Um das Modell jedem zugänglich zu machen, verwendet Unger Steel das kostenlose BIM-Kollaborationstool Tekla BIMsight. Mit Tekla BIMsight können alle Teammitglieder auf das Gebäudemodell zugreifen, einzelne Teilmodelle auf Kollisionen prüfen sowie Anmerkungen und offene Fragen direkt bei den betroffenen Bauteilen im Modell vermerken. Auf diese Weise organisierte Unger Steel die Zusammenarbeit mit den Architekten und Tragwerksplanern. Zudem konnten die Fertigungs- und Montageteams auf der Baustelle immer auf das aktuellste Modell zugreifen und beispielsweise mit mobilen Endgeräten einzelne Bauteile im Modell und in Realität miteinander vergleichen – auch dies eine wichtige Funktion, die die Arbeit der Teams erheblich erleichterte.
Die konsequente Umsetzung der BIM-Methode und das mustergültige Informationsmanagement beim Bau des Wiener Hauptbahnhofs tragen wesentlich dazu bei, dass Zeit- und Kostenpläne eingehalten werden. Seit Beginn der Bauarbeiten im Jahr 2010 hat sich viel getan: Bereits Ende 2012 war das Gebäude soweit fertiggestellt, dass die ersten Züge einfahren und der Bahnhof teilweise in Betrieb genommen werden konnte. Die endgültige Fertigstellung inklusive Innenausbau ist für 2015 geplant – ein Zeitplan, der dank minuziöser Planung mit Building Information Modeling eingehalten werden kann.
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