01.09.2022 – Kategorie: Fertigung & Prototyping

Digitale Vernetzung in der Smart Factory: Experten im Gespräch

Digitale VernetzungQuelle: greenbutterfly/stock.adobe.com

Von Lösungen und Konzepten für die Smart Factory können auch kleine und mittelständische Fertigungsunternehmen profitieren.

Wie es auf diese Weise gelingen kann, Prozesse zu verschlanken und zu beschleunigen, die digitale Vernetzung zu schaffen, darüber sprechen wir mit fünf Fachleuten.

Die Fragen zum Thema Digitale Vernetzung

  1. Was zeichnet eine Smart Factory aus?
  2. Welche Komponenten davon sollte ein mittelständisches Fertigungsunternehmen in seiner Digitalisierungsstrategie prioritär behandeln?
  3. Inwiefern lassen sich vorhandene Anlagen für die Smart Factory fit machen?
  4. Können Sie uns bitte ein Beispiel für eine praktische Anwendung nennen?
Digitale Vernetzung
Oliver Hoffmann, Co-CEO und CSO von Forcam, Bild: Forcam

1. Eine Smart Factory verbessert Effizienz und Flexibilität in Produktion und Planung signifikant, weil sie mit digitalen Betriebsinformationen in Echtzeit arbeitet. Die Daten stammen aus Maschinen, Steuerungen, Sensoren, aus Werker- und Auftragseingaben. Der Haupteffekt digitaler IT-Lösungen ist, dass sich Schwachstellen sowie Optimierungspotentiale in Echtzeit finden lassen – durch einfache Statistik oder fortschrittliche Analyseverfahren wie Maschinenlernen oder künstliche Intelligenz. ‚Digitale Zwillinge‘, also Abbilder der Produktion am Computer, sind meist Teil eines Smart-Factory-Systems.

2. Das zentrale Effizienzthema ist sicherlich, dass alle Aufträge digital abgebildet werden, also die Order Execution gemäß ISA-95. Mit digital erfassten Echtzeit-Informationen verkürzen Unternehmen ihre Reaktionszeiten enorm, wenn es Planabweichungen in der Produktion gibt. Andersherum können Änderungen aus der Unternehmensplanung schneller in die Produktion weitergegeben werden.

3. Selbst ältere Bestandsanlagen, Brownfield genannt, können digital angebunden werden. Vorkonfigurierte Plugins für alle gängigen Industriemaschinen machen das möglich. Ein solcher Retrofit sollte unbedingt erfolgen, um belastbare Informationen zum Beispiel zum Energieverbrauch einer ganzen Fertigung zu erhalten. Schon aus wenigen Maschinensignalen lassen sich wichtige Erkenntnisse für höhere Produktivität und Ressourceneffizienz ableiten. Dazu sind keine aufwändigen Protokolle wie OPC-UA notwendig. Die Signale können auf eine zusätzliche SPS-Steuerung – für rund 500 Euro Einkaufspreis – gelegt und dann mit internetfähigen Protokollen an ein Manufacturing Execution System – MES – zur weiteren Verarbeitung geschickt werden.

4. Die Effizienz-Beispiele sind zahlreich. Wer ein Umwelt-Zertifikat wie die ISO 50001 erhalten will, wird das mit datengesteuertem Energie-Monitoring erreichen. Wer Leistung und Liefertreue einer Tochterfabrik in Übersee schnell auf ein Soll-Niveau bringen will, wird dies durch eine Echtzeit-Messung der Gesamtanlageneffektivität OEE via Cloud erreichen. Wer klimafreundlicher produzieren will, kann OEE-Leistungsdaten mit Energieverbräuchen korrelieren und so für jeden Auftrag die jeweils energieeffizientesten Maschinen einsetzen.

Smart Factory und IoT

Digitale Vernetzung
Arne Jänicke, Head of Productmanagement bei Schneider Electric DACH, Bild: Schneider Electric

1. Das Konzept der Smart Factory und die Grundidee des Internet of Things hängen unmittelbar zusammen. Das betrifft vor allem zwei Aspekte. Erstens: Integration. In der Smart Factory ist kein Platz für proprietäre Systeme, Datensilos oder Insellösungen. Alles ist mit allem vernetzt und Daten aus sämtlichen Abteilungen können zusammengeführt und mit speziellen Softwarelösungen für Analysen, vorausschauende Wartung oder die Steigerung der Ressourceneffizienz genutzt werden. Das setzt offene Systeme voraus, die eine ganzheitliche Vernetzung fördern und nicht blockieren. Und zweitens geht es, wie der Name Smart Factory schon sagt, um Intelligenz. Von durchgängiger Vernetzung und maximaler Datentransparenz profitiere ich am meisten, wenn intelligente Softwareanwendungen zum Einsatz kommen, die mir dabei helfen, meine individuellen Probleme zu lösen – etwa, wenn es um kontextabhängiges Line Monitoring oder kostensparendes Lastmanagement geht.

2. Grundsätzlich sollte es immer darum gehen, die Datentransparenz einer Anlage zu erhöhen. Das ist der Grundpfeiler für jede Smart Factory. Dazu ist es notwendig, bereits vorhandene Maschinendaten aus unterschiedlichen Quellen zusammenzuführen und neue Datenpunkte zu setzen. Damit sich dieser Aufwand auch wirklich lohnt und es zu einem schnellen Return-on-Investment kommt, ist die Einführung einer einheitlichen Vernetzungsarchitektur zu empfehlen, die in ihren Grundzügen offen, integrativ und durchgängig ist. So wird der Zugriff auf die zusammengeführten Daten besonders einfach und das Potenzial intelligenter Softwareanwendungen lässt sich optimal nutzen.

3. Lassen Sie mich dazu ein Beispiel nennen. Bei Schneider Electric haben wir mit der GreenBox eine Industrie-PC Lösung entwickelt, die mit ihrer Vielzahl unterstützter Kommunikationstreiber für praktisch alle gängigen Steuerungssysteme ausgestattet ist. Das macht es dem Anwender unkompliziert möglich, Maschinen unterschiedlicher Generationen und Anbieter datentechnisch zusammenzuführen. Und es bietet den Vorteil, dass auch gleich eine Plattform vorhanden ist, auf der intelligente Softwarelösungen zur Datenauswertung installiert werden können. Für die Vernetzung bestehender Anlagen eine ideale Lösung.

4. Unser Schneider Electric-Produktionsstandort für Motor- und Antriebslösungen im baden-württembergischen Lahr ist bereits seit einigen Jahren zur Smart Factory ausgebaut. Hier sind alle Stationen der Wertschöpfungskette sowie sämtliche Anlagenteile durchgängig miteinander vernetzt. Damit herrscht nicht nur größtmögliche Transparenz über alle wichtigen KPIs, die Gesamtanlageneffektivität und den Energieverbrauch. Unsere Produktion kann auch automatisiert, flexibel und kosteneffizient an Kundenwünsche und Gegebenheiten angepasst werden.

In dieser sehr dynamischen und digital assistierten Produktionsumgebung können Stand heute bis zu 6.800 verschiedene Varianten an individuellen Antriebslösungen produziert werden. Gleichzeitig erlauben optimierte Produktionsverfahren und detailliertes Energiemanagement den schonenden Einsatz von Ressourcen und Energie.

Digitale Vernetzung
Alexander Kunz, Leiter der Smart Factory von Trumpf in Ditzingen, Bild: Trumpf

1. Für Trumpf ist das ganz klar die digitale Vernetzung. Wir betreiben selbst mehrere Smart Factories, etwa an unserem Stammsitz in Ditzingen, aber auch in den USA und in China. Hier ist alles miteinander vernetzt – Schneide-, Biege- und Schweißmaschinen, aber auch Großlager und fahrerlose Transportsysteme. Der Dreh- und Angelpunkt unserer Smart Factory ist die Software. Sie steuert und überwacht die gesamte Fertigung. Der Vorteil dabei ist, dass alle Prozesse perfekt aufeinander abgestimmt sind. Unproduktive Nebenzeiten reduzieren sich auf ein Minimum. Es kommt nicht mehr vor, dass die Maschine stillsteht, weil noch kein Material bereitsteht. Effizienzsteigerungen von bis zu 30 Prozent sind mit der Smart Factory möglich.

2. Als erste Maßnahme sollten Unternehmen ihre Produktionsprozesse digitalisieren, unabhängig von der Unternehmensgröße und -struktur. Dafür ist eine Software zur Fertigungssteuerung notwendig. Bei uns ist das ‚Oseon‘. Mit der Lösung können Unternehmen ihre Produktion planen, steuern und überwachen. Außerdem unterstützt die Software den Mitarbeiter an der Maschine, indem sie ihm in ihrem Arbeitsumfeld alle wichtigen Informationen zum Auftrag digital zur Verfügung stellt. Unternehmen arbeiten dadurch viel flexibler und effizienter. Trumpf begleitet seine Kunden, ihre Fertigung schrittweise zu digitalisieren und zu vernetzen. Schon kleine Maßnahmen erzielen eine große Wirkung.

3. Trumpf bietet seinen Kunden mehrere Lösungen zum Nachzurüsten an, um ihre älteren Maschinen zukunftsfähig zu machen. Dazu gehört das OPC UA Retrofit. Damit können Anwender ihre älteren Bestandsmaschinen um eine OPC UA-Schnittstelle erweitern, um einen internationalen, plattformunabhängigen Standard für den Datenaustausch in der Fertigung einzuführen.

Eine weitere Lösung ist die Software Windows Retrofit. Die Technologie hilft Unternehmen, bei älteren Maschinen steigende Anforderungen an die IT-Systeme in ihrem Firmennetzwerk einzuhalten. Außerdem bieten wir unseren Kunden für ihre CO2-Lasermaschinen die Smart Power Tube IoT Box an. Damit können sie ihre älteren Maschinen an das IT-System von TRUMPF anbinden und unsere Smart Services nutzen. Unser Condition Monitoring beispielsweise, bei dem TRUMPF Experten die Maschinendaten der Kunden mit intelligenten Algorithmen auswerten und sie proaktiv informieren, wenn es Auffälligkeiten gibt.

4. Eine Smart-Factory-Lösung von Trumpf, die in der Praxis zum Einsatz kommt, ist der Sorting Guide. Die Technologie unterstützt Anwender mithilfe von künstlicher Intelligenz (KI) beim Absortieren geschnittener Blechteile. Beispielsweise zeigt die Lösung dem Mitarbeiter auf einem Bildschirm in seinem Arbeitsumfeld an, welche Bauteile zum gleichen Auftrag gehören. Dafür markiert sie die entsprechenden Werkstücke mit derselben Farbe.

Außerdem erkennt der Sorting Guide mit einer intelligenten Kamera, welches Teil der Mitarbeiter gerade entnommen hat und gleicht es mit dem Auftrag ab. Das spart Zeit, verhindert Fehler und entlastet das Personal.

Die Fragen zum Thema Digitale Vernetzung

  1. Was zeichnet eine Smart Factory aus?
  2. Welche Komponenten davon sollte ein mittelständisches Fertigungsunternehmen in seiner Digitalisierungsstrategie prioritär behandeln?
  3. Inwiefern lassen sich vorhandene Anlagen für die Smart Factory fit machen?
  4. Können Sie uns bitte ein Beispiel für eine praktische Anwendung nennen?

Digitale Vernetzung: Auf die Daten kommt es an

Digitale Vernetzung
Timm Huber, IOT Consultant Comarch, Bild: Comarch

1. Eine Smart Factory ist aus unserer Sicht eine (daten-)transparente Produktionsstätte, die durch digitale Vernetzung von Maschinen, Menschen und IT auf mehreren Ebenen Abläufe und Prozesse optimiert sowie Reports bzw. Anweisungen generiert, was eine schnelle und effektive Entscheidungsfindung ermöglicht. So lassen sich Verbräuche messen, Wartung planen, Ausschuss minimieren und Produktionsmenge maximieren. Dazu wird Sensorik an Produktionslinien verbaut und mit IT-Systemen gekoppelt, die zum Beispiel Predictive Maintenance, hohe Produktion und im Idealfall durch die Integration von Künstlicher Intelligenz ein selbstoptimierendes System ermöglichen.

2. Je nachdem, in welcher Qualität und Quantität Daten bereits vorhanden sind, empfiehlt sich im ersten Schritt die Strukturierung und Identifikation relevanter Daten. Dies ist der Schlüssel, um zu verstehen, wo die Stellschrauben für eine höhere Produktivität und einen Return on Investment liegen. Oftmals müssen relevante Daten aber erst aus Maschinen mittels Sensorik geborgen werden. Darauf basierend kann ein Fahrplan für die weitere Digitalisierung erstellt werden, um zielführend die nächsten Stationen festzulegen. Hier hat sich ein „Scrum“-Ansatz bewährt, also die schrittweise Entwicklung der einzelnen Projekte.

3. Eine Nachrüstung ist bei vielen Maschinen relativ einfach möglich. Diese sollte ganz individuell erfolgen, wie unser Musterbeispiel mit dem Kunden Louis Ditzler AG, einem Schweizer Unternehmen aus der FMCG-Branche, zeigt: Für die Datenerfassung in den Produktionslinien, die mit Dashboards und mit Kontrollwaagen von Ishida ausgestattet sind, wurden IoT-Hubs in wasserfesten Gehäusen als Gateways nachgerüstet. Auch in anderen Branchen und selbst in schwierigen Umgebungen hat sich immer passende Sensorik gefunden, mit der vorhandene Anlagen nachgerüstet werden können.

4. Bei der Louis Ditzler AG wurde die Produktion durch einen Retrofit digitalisiert. So beginnt der Prozess mit dem Nachvollzug der Herkunft der Rohware, die an den einzelnen Produktionslinien ankommt. Dies erfolgt mithilfe des ERP-Systems. Die Waagen kontrollieren die Produktbeutel sowohl im Hinblick auf ihr Gewicht als auch auf eventuell enthaltene Metallteile. Durch die digitale Vernetzung mit dem IoT-Hub können die erfassten Daten an die IoT-Plattform übermittelt und anschließend an die MES-Anwendung für Industrie 4.0 weitergeleitet werden. Mit dieser kann überprüft werden, welche Beutel OK und welche NOK sind. Die entsprechenden Informationen werden daraufhin an das BI-Tool übermittelt, wo sie umfassend analysiert werden.

Digitale Vernetzung
Sebastian Seitz, CEO von Eplan und Cideon, Bild: Eplan

1. Die Ziele sind klar: mehr Transparenz, Wissen, Geschwindigkeit und Nachhaltigkeit in Fertigung und Betrieb. Wenn bei der Datenqualität von Anfang an keine Kompromisse gemacht und die Daten richtig in Kontext gesetzt werden, lassen sich schon mit der Transparenz über alle Prozesse beachtliche Optimierungen erreichen, noch bevor die Fabrik schrittweise ‚smarter‘ gemacht wird. Nach und nach können dann IIoT-Daten auch direkt zum Management der Fertigung beitragen.

2. Vollständige Daten als Single Source of Truth sind die entscheidende Basis. Wenn schon im Engineering die Daten einer Maschine/Anlage digital beschrieben und in einem zentralen Datencontainer zur Verfügung gestellt werden – Stichwort digitaler Zwilling – nützt das auch im Betrieb der Anlagen, nicht nur für Instandhaltung und Fehlersuche. Diese Daten können den Aufbau einer Smart Factory beschleunigen. Die Grundlage ist die vollständige digitale Vernetzung und Integration aller Anlagen. An einer Linie kommen schnell Tausende Datenpunkte zusammen, deren Rolle Sie im Kontext Fertigung verstehen und zuordnen müssen. Mit einem lückenlosen digitalen Anlagen-Zwilling gelingt das leider auch nicht auf Knopfdruck, aber immerhin erheblich schneller.

3. Anlagen im Brownfield zu optimieren ist der größte Hebel, um die Transformation in die Breite zu tragen. Hier kommt unsere Schwesterfirma German Edge Cloud (GEC) ins Spiel. Die Kollegen ermitteln mit ihrem Domänenwissen rund um Automation, welcher Use Case zum Start individuell die schnellsten Forstschritte bringt – als Baustein, nichts als Insel. Die Bandbreite reicht von der Anlagen-Vernetzung über die Visualisierung von Prozessen oder Anwendungen wie Track&Trace bis hin zum agilen, IIoT-gestützten Management der Fertigung.

4. Zwei Beispiele: Im Smart Press Shop in Halle optimieren Schuler und GEC die Pressteil-Fertigung von Porsche mit Track&Trace bis auf die individuellen Daten jedes Teils. Dazu müssen alle Informationen, inkl. Qualitätserfassung der genauen Segmente des Stahl-Coils, jedem einzelnen Teil zugeordnet werden – und zwar in nahezu Echtzeit. Im Rittal Werk in Haiger nutzt GEC das Digital Production System, um mit Performance Dashboards Transparenz über alle Prozesse in der Fertigung zu schaffen. Mit dieser Einsicht können die Fertigungs-Spezialisten schon die OEE erhöhen, noch bevor überhaupt „smart“ geregelt wird.

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