19.05.2021 – Kategorie: GIS & Infrastruktur
Infrastrukturbau – Wie Anwender in der Zukunft von digitalen Zwillingen profitieren
Die offene, skalierbare Cloud-Plattform Bentley iTwin Services nutzt nun die Rendering-, KI- und Simulationsfähigkeiten der neuen 3D-Simulationslösung Nvidia Omniverse für digitale Zwillinge in der Infrastruktur. Lori Hufford, Vice President, Application Integration bei Bentley Systems, und Richard Kerris, General Manager Media and Entertainment bei Nvidia, erklären, wie die Integration funktioniert, wie die Anwender im Infrastrukturbau davon profitieren und was den digitalen Zwilling der Zukunft ausmacht.
AUTOCAD & Inventor Magazin (ACM): Bentley Systems integriert die 3D-Simulationsplattform Omniverse von Nvidia in seine iTwin-Cloud-Plattform. Was war der ausschlaggebende Faktor für diesen Schritt?
Lori Hufford: Die entscheidenden Faktoren für Bentleys Entscheidung waren Visualisierung und Simulation. Sie bilden die Grundlage für so viele Anwendungsfälle im Infrastrukturbau. Digitale Zwillinge und die Integration von Bentley iTwin und Nvidia Omniverse liefern immersive 3D- und 4D-Erlebnisse in Echtzeit. Sie ermöglichen eine realitätsgetreue, physikbasierte Simulation selbst der größten und komplexesten Infrastrukturanlagen. Denn das Design von Infrastrukturbauten ist einzigartig komplex, und die Zusammenarbeit zwischen Bentley und Nvidia wird diese Skalierung und eine realitätsgetreue physikbasierte Simulation zulassen. Zudem verändert GPU-Computing die Welt des Ingenieurwesens und der Konstruktion. Wir freuen uns, das Potenzial von KI, Simulation und fortschrittliche Analysen für digitale Zwillinge in der Infrastruktur freizusetzen.
Können Sie uns sagen, was Omniverse von anderen Simulationslösungen unterscheidet?
Richard Kerris: Omniverse wurde von Grund auf für die Zusammenarbeit und Simulation über mehrere Anwendungen und Standorte hinweg konzipiert. Im Kern haben wir uns entschieden, es auf dem USD-Standard von Pixar aufzubauen, der wirklich die Arbeit über diese verschiedenen Anwendungen gewährleisten konnte. Ursprünglich von Pixar entwickelt, wurde das Format inzwischen von mehreren Branchen übernommen. Dies gibt uns eine gemeinsame Sprache für 3D. Es ist sozusagen eine Art HTML für 3D.
Jetzt, da wir diese gemeinsame Sprache haben, können wir mit Produkten von Drittanbietern arbeiten, die sich darüber verbinden. Wir können unsere eigenen Technologien mit allen Lösungen mischen, die mit USD arbeiten. Und wir haben es als Plattform für Anwendungen entwickelt, die man darauf aufbauen kann, so wie Bentley es tut. Das Besondere an diesem Format ist also, dass es offen und erweiterbar ist. Es ist kein ummauerter Garten, sondern das genaue Gegenteil davon.
Realitätsgetreue Simulation für den Infrastrukturbau reicht bis hin zur Wetterdarstellung
Welche Anwender und Branchen wollen Sie mit Omniverse besonders erreichen?
Richard Kerris: Wir haben Omniverse für die Visualisierung entwickelt. Diese wird in vielen Branchen immer wichtiger, nicht nur in den dafür bekannten wie Bauwesen, Medien, Unterhaltung und Spieleentwicklung, sondern auch in der wissenschaftlichen Forschung und im Gesundheitswesen. Wir sehen diese Entwicklung auch in der Robotik oder beim autonomen Fahren – so ziemlich alles, was gebaut werden muss, wird visualisiert. Wir haben damit eine Plattform, die wirklich die Bedürfnisse dieser Kunden erfüllt. Sie kommt sehr stark in der Architektur und im Bauwesen zum Einsatz, weil es dort eine genaue Simulation für den Visualisierungsprozess braucht. Traditionell verwendet man da Game-Engines, um die Bauwerke zu visualisieren. Das ist zwar in Ordnung, aber dafür sind die Game-Engines eigentlich nicht gedacht. Die Anwender erhalten also keine realitätsgetreue Simulation. Unsere Simulation dagegen ist realitätsgetreu. Wenn Sie das Wetter, die Sonneneinstrahlung oder ähnliche Phänomene an einem Gebäude studieren wollen, das gerade gebaut wird, können Sie das im digitalen Zwilling präzise tun.
Inwieweit ergänzt Omniverse die bereits in iTwin vorhandenen Simulations- und Visualisierungsfunktionen?
Lori Hufford: Omniverse ermöglicht die Visualisierung von Infrastruktur, digitalen Zwillingen mit KI, Fotos, realistischer Beleuchtung und Umgebungseffekten, und das über mehrere Geräte und Anwendungen hinweg, einschließlich Webbrowser, Workstations, Tablets, Virtual-Reality- und Augmented-Reality-Headsets, überall auf der Welt. Wir denken, dass die Projektbeteiligten in Ingenieurbüros besonders von den KI-gestützten fotorealistischen Beleuchtungs- und Umgebungseffekte profitieren, denn die können damit wirklich sehen, wie ihre Entwürfe wirken. Was Simulationen und Videos angeht, ergänzt Omniverse die bestehenden Simulationsmöglichkeiten von Bentley. Entwickler können also Nvidia Omniverse in Verbindung mit der Bentley-iTwin-Plattform nutzen, um benutzerdefinierte Simulationen für Infrastrukturen und digitale Zwillinge zu entwickeln.
Wie könnte das dann in der Praxis aussehen?
Lori Hufford: Wir sehen ein Interesse an neuen, immersiven Inspektionen, die auf unserer iTwin-Plattformtechnologie aufbauen. So haben wir zum Beispiel beim 5G-Roll-out gesehen, dass die Betreiber der Funkmasten auf millimetergenaue digitale Zwillinge setzen und diese mit künstlicher Intelligenz und der patentierten Doppelsensor-Drohnentechnologie für die Planung und das Management der Masten kombinieren – das ist ein echter Wendepunkt für den Telekommunikationsmarkt. Netzwerkbetreiber können die Daten zu ihren Masten in ingenieurmäßiger, digitaler Form bereitstellen. Damit ersparen sie den Technikern gefährliche Mastbesteigungen.
Verkehrsbehörden sehen andererseits einen unmittelbaren Nutzen in virtuellen immersiven Inspektionen von Brücken mit digitalen Zwillingen, die Daten von Drohnenvermessungen und künstliche Intelligenz nutzen. Sie können Sicherheitsprobleme bei Brücken ohne riskante Aufstiege und Vor-Ort-Inspektionen erkennen. Wie könnte Omniverse diese Fähigkeiten also erweitern? Zum Beispiel ließe sich das RTX Raytracing von Omniverse verwenden, um die Auswirkungen von Lichtern unter verschiedenen Bedingungen zu simulieren und so die Ästhetik und Funktionalität zu verbessern. Wir könnten es den Anwendern ermöglichen, große Industrieanlagen und Offshore-Strukturen in Echtzeit virtuell zu erkunden, damit sie Wege planen und Sicherheitsrouten optimieren.
Simulationslösung unterstützt Zusammenarbeit im Infrastrukturbau über die ganze Welt verteilt
Eine Remote-Zusammenarbeit zwischen Projektbeteiligten im Infrastrukturbau wird immer wichtiger. Welche neuen Möglichkeiten ergeben sich durch die Integration?
Richard Kerris: Wenn wir uns alle in derselben virtuellen Umgebung befänden, würden wir alle die physikalisch exakte Simulation dieser Struktur in einer fotorealistischen Ansicht sehen. Wenn wir nun daran etwas ändern, auch an verschiedenen Orten, können wir den Kern von Omniverse in der Cloud laufen lassen, und es werden nur die Dinge übermittelt, die sich ändern. Das Delta wird kommuniziert, was sehr effizient ist, und es erlaubt, in Echtzeit zu arbeiten. Im Kern ist Omniverse also so aufgebaut, dass es die Zusammenarbeit im Infrastrukturbau unterstützt, egal ob in unterschiedlichen Räumen oder über die ganze Welt verteilt.
Lori Hufford: Lassen Sie mich mit einem Beispiel aus dem VR/AR-Bereich beginnen. Mit den Raytracing-Fähigkeiten von Nvidia Omniverse lassen sich fotorealistische Beleuchtung und Umgebungseffekte in VR und AR visualisieren, und die Beteiligten können besser in den Workflow einbezogen werden. Kollaboration und Infrastruktur-Engineering müssen das Management von Veränderungen unterstützen. Genau für solche Workflows wurde Bentley iTwin entwickelt, und unsere fortgeschrittenen Anwender nutzen iTwin-gestützte Anwendungen wie zum Beispiel Design Review, um das effiziente Management von technischen Änderungen zu unterstützen. Wir sehen, dass der digitale Zwilling eines Infrastrukturprojekts eine Menge Möglichkeiten eröffnet, da die Beteiligten den Bauablauf in 4D modellieren können. Und die verbesserte Visualisierung und die fotorealistischen Fähigkeiten von Omniverse machen den digitalen Zwilling noch leistungsfähiger.
Lassen Sie uns noch einmal auf den USD-Standard zurückkommen. Was bedeutet er konkret für den Datenaustausch mit anderen 3D-Anwendungen?
Richard Kerris: USD wird zu einem branchenübergreifenden Standardformat. Der ursprüngliche Entwickler Pixar hat wohl Pionierarbeit bei der Erstellung digitaler Umgebungen für seine Filme geleistet. Dort entstand das Bedürfnis, alles, was im Kontext von 3D steht, das Modell, die Beleuchtung, die verschiedenen Materialien und physikalischen Eigenschaften zu definieren – also alles, was in der Szene stattfindet, und daraus wurde dann USD. Verschiedene Branchen übernehmen das, und es gibt Anwendungen in der Architektur, in der Fertigung usw.
Grundsätzlich kann man so über verschiedene Branchen und Orte hinweg Informationen auszutauschen. Man könnte es vergleichen mit dem, was HTML für das World Wide Web bedeutet. Als HTML herauskam, gab es eine gemeinsame Sprache, dann gab es Browser, die auf HTML aufsetzten und dann wurde alles konsistent vernetzt. Analog bei USD: Es gibt jetzt eine gemeinsame Sprache. Die Dinge lassen sich miteinander verbinden und erweitern. Und damit verschwinden die Probleme und die Komplexität der verschiedenen Anwendungen.
Lori Hufford: Für digitale Infrastruktur-Zwillinge sieht der Arbeitsablauf so aus, dass die Daten in Bentley iTwin einfließen. Der digitale Zwilling verwaltet die technischen Daten und Änderungen und dann fließen diese Daten in Omniverse, um die Visualisierung und Simulation zu erleichtern. Wir sind begeistert von den zusätzlichen Vorteilen, die Nvidia Omniverse für die Visualisierung und Simulation bietet.
iTwin als offene Plattform bietet den Nutzern die Möglichkeit, individuelle digitale Zwillinge im Infrastrukturbau zu erstellen. Wie passt Omniverse in dieses Konzept?
Lori Hufford: Wir entwickeln Anwendungen auf der Omniverse-Plattform in Verbindung mit iTwin, und andere Entwickler können dies ebenfalls tun. Denn kein Unternehmen kann alle Anwendungen allein entwickeln, die für den Infrastrukturbau und die digitalen Zwillinge benötigt werden.
Mit KI und Simulation das Beste aus der bestehenden Infrastruktur machen
Inwieweit werden Anwender im Infrastrukturbau von iTwin in Zukunft auf die Lösungen von Nvidia festgelegt sein?
Lori Hufford: Es ist eine Option für die Nutzer der Plattform. Wir sind begeistert von den Möglichkeiten, die Omniverse den iTwin-Benutzern bieten kann. Aber es ist keine obligatorische Komponente von iTwin. In einer offenen, herstellerunabhängigen Plattform bestehen viele Optionen für unsere Anwender.
Wie unterstützen Verfahren der künstlichen Intelligenz (KI) die Simulation in digitalen Zwillingen für die Infrastruktur?
Richard Kerris: Unsere KI-Technologie ist ein Herzstück von Omniverse, und sie lässt sich für viele Dinge einsetzen. Ein Beispiel ist die Omniverse-Anwendung Audio to Face. Wenn sie also einen digitalen Avatar in Ihrer Umgebung haben wollen, der Sie durch den Ort führt, könnte KI das unterstützen. KI ist auch Teil von Isaac SIM, unserer Robotikmodule. Man kann also KI nutzen, um Roboter in der digitalen Welt zu trainieren und sie erst einmal dort einzusetzen, bevor man sie in die physische Welt schickt. Wir können mit KI-Technologie auch 3D-Modelle aus 2D-Szenen erstellen. Man könnte einfach ein Foto in eine 3D-Umgebung umwandeln. KI ist mittlerweile Teil unserer Unternehmens-DNA.
Lori Hufford: Ja, und unsere aktuelle Entwicklung nutzt die KI-Rendering-Fähigkeiten von Omniverse.
Richard Kerris: Absolut. Mit dem DSS kann der Rechner eine niedrigere Auflösung in KI rendern und sie dann in eine höhere Auflösung bringen – und das viel schneller, als wenn er jedes einzelne Pixel berechnen müsste.
In welche Richtung werden sich digitale Zwillinge im Infrastrukturbau weiterentwickeln?
Lori Hufford: Die Welt ertrinkt heute in Daten. Wenn wir mit den fortschrittlichsten Unternehmen sprechen, geht es in der Zukunft um Analysen, Erkenntnisse und künstliche Intelligenz. Wir müssen das Beste aus der bestehenden Infrastruktur machen, und für die Mehrheit der Infrastrukturbauten fehlen den Nutzern und Eigentümern die Spezifikationen oder Pläne. Wir erstellen Modelle mit Drohnen und gewinnen Daten mit Sensoren. Und hier kommen künstliche Intelligenz und Simulation ins Spiel.
Richard Kerris: Ja, das sehe ich genauso.
Vielen Dank für das Gespräch!
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