16.10.2015 – Kategorie: Fertigung & Prototyping
Interview: Dr. Wolfgang Seeliger über Trends im Leichtbau
Schon die frühen Phasen der Produktentwicklung entscheiden über die späteren Fertigungs-, Nutzungs- und Betriebskosten. Leichtbaukonzepte stehen oft ganz oben auf der Agenda. Welchen Nutzen sie wirklich entfalten können, ohne dass die Produktfunktionalität zu kurz kommt, erläutert Dr. Wolfgang Seeliger, Geschäftsführer der Leichtbau BW GmbH.
AUTOCAD & Inventor Magazin: Welche Gründe sprechen heute dafür, möglichst leichte Produkte zu entwickeln, zu fertigen und auf den Markt zu bringen?
Dr. Wolfgang Seeliger: Leichtbauweise ist eine Konstruktionsphilosophie, die maximale Gewichtseinsparung zum Ziel hat. Doch beim Leichtbau dreht sich nicht alles alleine um weniger Gewicht. Es geht auch um die Einsparung wichtiger Ressourcen. Mittlerweile werden nicht nur Rohstoffe wie seltene Erden oder Lithium knapp, auch so selbstverständliche Materialien wie Bausand sind mittlerweile begehrter Güter.
Ein weiterer wichtiger Aspekt beim Leichtbau ist die Senkung umweltschädlicher Emissionen wie beispielsweise Kohlendioxid. Durch eine Gewichtseinsparung verbrauchen Fahrzeuge oder andere Maschinen weniger Treibstoff oder Energie bei ihrem Betrieb. Auch zur Herstellung von Produkten wird weniger Material benötigt.
Beim Leichtbau spielt der Lebenszyklus eines Produkts ebenfalls eine große Rolle, von der Entwicklung bis hin zum Recycling. In Zeiten umweltbewusster Kunden durchaus ein Kaufanreiz.
Ein weiterer ökonomischer Vorteil durch Leichtbau ist der Mehrwert, der entsteht. Leichtere Fahrzeuge verbrauchen nicht nur weniger, sie haben auch eine bessere Dynamik etwa in der Beschleunigung und im Kurvenverhalten. Dieser zusätzliche Fahrspaß ist den Kunden durchaus etwas wert.
AUTOCAD & Inventor Magazin: Inwiefern kann Leichtbau tatsächlich zu nennenswerten Energieeinsparungen und CO2-Reduktion für den Anwender führen? Können Sie uns bitte ein Beispiel nennen?
Dr. Wolfgang Seeliger: Im Automotive-Bereich gilt die Faustformel: 100 Kilogramm Gewichtsreduktion bei Mittelklassewagen bedeuten 5 Prozent höhere Beschleunigung, 5 Prozent weniger Bremsweg und etwa 0,2 bis 0,3 Liter je 100 Kilometer Minderverbrauch bei Ottomotoren sowie eine Reduzierung des CO2-Ausstoßes um 7 Gramm pro Kilometer. Würden alle Fahrzeuge in Deutschland auf einen Schlag 100 Kilogramm leichter, wären das 3,25 Milliarden Euro weniger Spritkosten sowie 4,3 Millionen Tonnen CO₂-Einsparung.
Oder im Baubereich: Die Herstellung von Beton ist ja einer der weltweit größten Emittenten von CO₂. Bei einer Brücke aus Textilbeton der Groz-Beckert KG konnte im Vergleich zu einer Stahlbeton-Variante 40 Prozent an Gewicht sowie 30 Prozent an CO₂ eingespart werden. Dabei ist zu bedenken, dass Beton mit einer Produktion von rund 5 Milliarden Kubikmeter jährlich das mit Abstand am meisten vom Menschen verwendete Material ist. Zum Vergleich: Bei der Produktion von einem Kubikmeter Beton entstehen über 200 Kilogramm CO₂.
AUTOCAD & Inventor Magazin: … und zu Kosteneinsparungen im Entwicklungs- und Fertigungsprozess?
Dr. Wolfgang Seeliger: Die Leichtbau BW GmbH hat ein Anwendungsbeispiel aus dem Maschinenbau, bei dem Leichtbau-Konstruktions-Know-how auf ein Maschinenbau-Unternehmen übertragen wurde. Die Materialeinsparung durch die Topologie-Optimierung lag bei rund 30 Prozent. Die Kosten gingen auf einen Schlag um sage und schreibe sieben Prozent herunter. Eventuelle Mehrkosten bei Konstruktion und Entwicklung lassen sich so in weniger als zwei Jahren wieder hereinholen.
AUTOCAD & Inventor Magazin: Welche Verfahren können Unternehmen einsetzen, um die Produkte im Sinne eines Trade-offs zwischen geringem Gewicht und Stabilität zu erreichen?
Dr. Wolfgang Seeliger: Es gibt leichtbauspezifische Methoden, die bereits im Entwicklungs- und Produktionskonzept das Augenmerk auf die Gewichtsreduktion legen. In dieser Phase werden bereits 70 bis 80 Prozent des späteren Produktgewichts festgelegt. So viel kann man einfach durch die Verwendung leichter Materialien nicht mehr hereinholen. Entscheidend ist es dabei, frühzeitig die richtigen und wichtigen Funktionalitäten festzulegen. Ein Bauteil kann durch Funktionsintegration beispielweise mehrere Funktionen übernehmen. Vielleicht können bestimmte Funktionen auch schlicht weggelassen werden, weil der Kunde sie gar nicht wünscht oder benötigt. Braucht man in einem Auto mit Klimaanlage beispielsweise ein schweres Schiebedach? Eine weitere Möglichkeit zur Gewichtsreduktion ist die lastgerechte Konstruktion. Hier wird das Material beispielsweise durch Bionik nach dem Vorbild der Natur nur dort verwendet, wo es notwendig ist.
AUTOCAD & Inventor Magazin: Können Sie uns hierfür ein Beispiel nennen?
Dr. Wolfgang Seeliger: Ein anschauliches Beispiel für lastgerechte Optimierung bei gleichzeitiger Materialsubstitution ist ein Luftbalgträger aus einer hochfesten Aluminium-Knetlegierung. Er wurde von der LEIBER Group aus Emmingen-Liptingen entworfen und mit dem European Aluminium Award 2014 ausgezeichnet. Durch konstruktiven Leichtbau und bionische Topologie-Optimierung mithilfe einer FE-Simulation haben die Konstrukteure die Geometrie deutlich abgespeckt. Hierbei konnte eine Gewichtsreduktion gegenüber dem herkömmlichen Bauteil aus Stahl von über 50 Prozent erreicht werden und das nicht nur bei gleichen Eigenschaften, sondern sogar noch verbesserten.
AUTOCAD & Inventor Magazin: Was bedeutet Leichtbau für die Arbeit der Konstrukteure und Berechnungsingenieure? Auf welche besonderen Konstruktionsmethoden können sie zurückgreifen?
Dr. Wolfgang Seeliger: Noch sind viele der Methoden- und Prozessinnovationen im Leichtbau bei Konstrukteuren und Berechnungsingenieuren gerade bei kleinen und mittleren Unternehmen nicht weit verbreitet oder nur in akademischen Kreisen bekannt. Daher arbeitet die Leichtbau BW GmbH mit den von ihr initiierten Projektgruppen zum Beispiel an Methodenhandbüchern oder stellt Best-Practice-Beispiele vor, um Innovationen aufzuzeigen.
Fest steht: Für Ingenieure im Bereich Konstruktion und Entwicklung wird sich viel verändern – von aktuell im Großen und Ganzen konsekutiven Prozessen hin zu eher zyklischen und rückgekoppelten Prozessschleifen. So muss beispielsweise die Fertigung stärker an die Produktion heranrücken. Hier liegt großes Potenzial, dessen Förderung die Leichtbau BW durch ihre Arbeit vorantreibt. Zusammengefasst haben wir dies in dem Dreiklang Design, Prozesse und Simulation.
AUTOCAD & Inventor Magazin: Inwiefern können auch Fertigungsverfahren wie der 3D-Druck in Leichtbaukonzepte einbezogen werden?
Dr. Wolfgang Seeliger: Der Leichtbau ist ein prädestiniertes Anwendungsgebiet für das Additive Manufacturing und zwar nicht nur im Endprodukt, sondern auch – dies ist ganz wichtig – im Werkzeugbau. Hier können viel Zeit und Kosten gespart werden.
Das Verfahren erlaubt bislang nicht realisierbare Strukturgestaltung und damit ungeahnte Gewichtsreduktionen. Beispielsweise können bionische Strukturen hergestellt werden, die vorher nicht möglich waren. Additive Manufacturing bietet auch die Möglichkeit der Funktions- oder Bauteilintegration. Damit können beispielsweise Verbindungselemente weggelassen werden oder elektrische beziehungsweise Lüftungsleitungen schon bei der Produktion in einem Arbeitsgang integriert werden. Auch ist das Verfahren materialeffizient, da das Material nur dort eingesetzt wird, wo es nötig ist.
AUTOCAD & Inventor Magazin: Wie fließen Vorbilder aus der Natur tatsächlich in die Produktentwicklung und später in das fertige Produkt ein?
Dr. Wolfgang Seeliger: Die Natur ist ein vorbildlicher Leichtbauer, da sie Material sparsam nur dort einsetzt, wo es wirklich gebraucht wird. Ganz nach dem Motto: minimaler Einsatz von Energie und Material bei bestmöglicher Erfüllung der Funktion. In die Produktentwicklung und das spätere Produkt fließen Vorbilder aus Flora und Fauna etwa durch die Finite-Elemente-Methode (FEM) ein.
Konstrukteure können damit beispielsweise den Aufbau von Käferflügeln nachvollziehen und simulieren.
Dadurch ist es möglich, dass belastbare, aber teure Materialien wie CFK nur entlang der Lastpfade verbaut werden. In Kombination mit modernster Technik entstehen auf diese Weise nach dem Vorbild der Natur nicht nur leichte und hochfeste Konstruktionen, sondern teils auch ästhetisch ansprechende Strukturen wie etwa die Leichtbau-Pavillons der beiden Stuttgarter Universitäts-Institute ICD und ITKE.
AUTOCAD & Inventor Magazin: Welche Möglichkeiten haben vor allem Anwender aus kleinen und mittelständischen Unternehmen, sich über Leichtbaukonzepte zu informieren?
Dr. Wolfgang Seeliger: Unser Leichtbau-Netzwerk umfasst mittlerweile deutschlandweit mehr als 1.000 Unternehmen, davon kommen rund zwei Drittel aus Baden-Württemberg. Diese gilt es, fit zu machen für die Leichtbau-Zukunft, indem wir sie über neue Leichtbaukonzepte informieren. Das machen wir unter anderem ab Herbst in einer gemeinsamen Veranstaltungsreihe mit den baden-württembergischen Industrie- und Handelskammern. Die „Regio-Sprechstunden“ legen einen besonderen Fokus auf den Maschinenbau, aber auch auf andere relevante Branchen. Zudem haben wir mehrere Studien etwa zu Märkten sowie Wertschöpfungspotenzialen im Leichtbau veröffentlicht. Bei sogenannten Matchmakings bringen wir viele Partner aus Industrie und Forschung zusammen. Wer auf der Suche nach einer speziellen Lösung ist oder Fragen hat, kann uns einfach anrufen.
AUTOCAD & Inventor Magazin: Vielen Dank, Herr Dr. Seeliger, für das Gespräch.
info: Leichtbau BW
Die Leichtbau BW GmbH wurde Mitte 2013 gegründet und ist eine baden-württembergische Landesagentur zur Wirtschafts- und Wissenschaftsförderung. Das 100-prozentige Landesunternehmen agiert als neutraler und branchenübergreifender Ansprechpartner für Industrie, Forschung und Gesellschaft. Die Landesagentur unterstützt den Technologie- und Wissenstransfer im Leichtbau und hilft Industrie sowie Forschung bei der Suche nach neuen Kooperationspartnern.
http://www.leichtbau-bw.de
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