30.05.2017 – Kategorie: Fertigung & Prototyping

Klug verbunden: Connected Prototyping

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Ein komplettes Fahrrad im 3D-Druck herzustellen, übersteigt die Bauraumgrenzen der derzeitigen Lasersinter-Stationen – Hersteller wie Canyon Bicycles setzen deshalb auf die Zusammenarbeit mit dem Prototyping- und Fertigungsspezialisten Kegelmann Technik, der das Manko der Anlagen mit Erfahrung ausgleicht.  von Stephan Kegelmann

Ein komplettes Fahrrad im 3D-Druck herzustellen, übersteigt die Bauraumgrenzen der derzeitigen Lasersinter-Stationen – Hersteller wie Canyon Bicycles setzen deshalb auf die Zusammenarbeit mit dem Prototyping- und Fertigungsspezialisten Kegelmann Technik, der das Manko der Anlagen mit Erfahrung ausgleicht.  von Stephan Kegelmann

Die speziellen Herausforderungen großer Bauteile hat Kegelmann Technik gelöst und baut große Funktionsprototypen wie den Rahmen für ein Triathlonrad schnell und in reproduzierbar hoher Qualität im SLS-Verfahren. Beispielsweise ist Kegelmann in der Lage, die Canyon Bicycles GmbH, ein Hersteller von innovativen Fahrrädern, im Gestaltungs- und Entwicklungsprozess neuer Modelle zu unterstützen und den Canyon-Ingenieuren etwa Prototypen von solch komplexen Modellen wie Triathlon- und Zeitfahrrädern zu bauen.
Prototypen dieser Fahrräder werden für die Simulation verschiedener Lastfälle benötigt, etwa für Windkanaltests im vollständig aufgebauten Zustand, um auch die letzten 2 bis 3 Prozent Energieverlust durch Fahrtwind heraus zu kitzeln. So erreichen die Ingenieure bereits vor dem Bau des ersten Serienrades das Optimum aus Leichtbau, Biomechanik und cw-Wert.

Mehr als nur XL

Die derzeit üblichen Lasersinter-Stationen bieten einen sogenannten XL-Bauraum. Dieser misst etwa 550 x 550 x 750 Millimeter. Darin lässt sich ein großes oder viele kleine Teile additiv produzieren. Aber 55 Zentimeter sind in vielen Fällen eben doch nicht groß genug. Die fertigungstechnischen Probleme großer Funktionsprototypen werden gelöst, indem die Projekte im Rahmen der Prozesskonstruktion neu konstruiert, in Teilen produziert und entsprechend dem gewünschten Bauteil zusammengebaut werden, wie hier anhand des Fahrradrahmens gezeigt wird.
Dieser Fahrradrahmen wird in Stückzahl 1 bis 15 in seriennaher Qualität benötigt, um verschiedene Testreihen durchführen zu können. Da sich Canyon als eine Marke mit hohem Designanspruch definiert, muss bereits der 3D gedruckte Rahmen markenprägend nicht nur höchsten technischen, sondern ebenso auch ästhetischen Ansprüchen genügen. Doch rein optische Perfektion genügt den Canyon-Ingenieuren nicht für ihre Arbeit.
Sie benötigen ein vollständig funktionsfähiges Muster, in das bereits Laufräder, der Antrieb, Lenker und Sattel eingebaut werden können – nur so lassen sich im Windkanal valide Ergebnisse erarbeiten. Daher ist beispielsweise der Kurbellagersitz aufgrund der Anforderung einer H7-Passung auf 0,01 mm genau mechanisch nachzubearbeiten. Dies ist bei der Prozesskonstruktion schon im Vorhinein durch entsprechende Bearbeitungszugaben für den 3D-Druck zu berücksichtigen.

Connected Prototyping

Zwei Dinge sind entscheidend, um den maximalen Nutzen eines im SLS-Verfahren gefertigten großen Funktionsprototypen zu erhalten. Zum einen ist bei großen Bauteilen die Kenntnis des Einflusses technologischer, mechanischer und thermischer Belastungen im Fertigungsprozess auf die Bauteildimensionierung von herausragender Bedeutung.
Zum zweiten muss ein klar strukturierter additiver Produktionsprozess definiert sein: Prozesskonstruktion, anforderungsbezogene Pulvermischung, Prozesskontrolle, Modellbau und Qualitätssicherung. Beides gehört bei Kegelmann Technik zum Konzept des Connected Prototyping. Als System vereint Connected Prototyping eine vielfältige Bandbreite innovativer Fertigungsverfahren unter einem Dach in Verbindung mit dem über viele Jahre erworbenen Technologiewissen.

Anforderungen an Funktionsprototypen

Die Anforderungen an einen Funktionsprototyp sind sehr komplex und vielfältig, schließlich gilt es, das Produkt unter praxisnahen Bedingungen zu prüfen. Geometrisch ist neben der mechanischen Funktionalität eine hohe Maßgenauigkeit und Passfähigkeit gefordert. Für den Gebrauch des Bauteils dienen Prototypen zur Ermittlung von Funktionsgrenzen und Zuverlässigkeit. Für die spätere Serienfertigung sind Montage- und Demontagefähigkeit sowie Reproduzierbarkeit zu testen. Die spätere Qualitätsprüfung der Serienteile benötigt definierte Prüfmerkmale wie signifikante Kontrollmaße und Produktfunktionen und -eigenschaften. Nicht zuletzt soll die Gestaltung, Ästhetik und Haptik eines Prototypen dem Endprodukt möglichst nahe kommen.
Kritische Erfolgsfaktoren bei großen SLS-Funktionsprototypen mit den oben erwähnten Anforderungen sind umfangreiches Prozess-Know-how, ein fortlaufendes Qualitätsmanagement in der gesamten Fertigungskette und eine geschickte 3D-Prozesskonstruktion. Das Bauteil wird so geschnitten, dass die Formsteifigkeit des Funktionsprototyps nach dem späteren Zusammenbau zumindest dem ursprünglichen konstruierten Bauteil entspricht. Die fertigungstechnischen Belastungen durch Bohrungen und Zylinder, Radien, Wandstärken und eventuell notwendige Stützkonstruktionen sind dabei zu berücksichtigen und haben zudem großen Einfluss auf Bauzeit und Baukosten.

Die Ausführung

Wenn man genau hinsieht, sieht man, dass der Fahrradrahmen aus mehreren Teilen besteht und mit Modellbau-Verbindungen wie Nut, Feder oder Schwalbenschwanzzapfen mit einem hohen Maß an Präzision und Passgenauigkeit zusammengefügt wurden. Herausforderungen dieser Produktionsweise großer Bauteile sind nicht nur thermischer Art im Rahmen des SLS-Verfahrens, sondern auch die Wahl der richtigen Verbindung an der richtigen Stelle im Rahmen der Prozesskonstruktion, um Festigkeiten und Druck- und Zugspannungen so zu gestalten, dass diese denen der ursprünglichen Konstruktion möglichst entsprechen.
Auch eine mögliche Kriechverformung des Kunststoffes in Abhängigkeit von Belastungsgeschwindigkeit und -dauer bei den Funktionstests beeinflusst die Prozesskonstruktion. Zum Lasersintern wird ein Polyamidpulver (PA12 ) benutzt.

Materialqualität im Griff

Zum speziellen Knowhow der additiven Fertigung bei Kegelmann Technik gehört die anwendungsbezogene Pulvermischung. Darüber gibt der sogenannte KPQ-Index Auskunft – der „Kegelmann Pulverqualitätsindex“. Er stellt einen eigenen definierten Prozess für die Pulverqualifikation mithilfe von Licht- und Rasterelektronenmikroskop und Flowmeter dar. Dieser Index ergibt sich durch „Zurückrechnen“ ausgehend von dem, was der Kunde eigentlich will: stabile reproduzierbare Qualität bei definierten Bauteileigenschaften wie etwa Dichte und Bruchdehnung.

Prozesseinflüsse

Die unterschiedlichen Werte von über 200 Eigenschaftsmerkmalen von Polymeren sind nicht nur vom chemischen und strukturellen Aufbau des SLS-Pulverwerkstoffs abhängig. Viele weitere Faktoren entlang der Prozesskette beeinflussen die reproduzierbare Qualität lasergesinterter Bauteile. Angefangen beim Bauteil selbst und seiner Konstruktion beeinflussen auch Maschinendaten und prozessvorbereitende Maßnahmen wie beispielsweise die Bauteilorientierung im Bauraum, der eigentliche Bauprozess mit Parametern wie Laserstrategie, Temperatur, Material und Materialqualität sowie die nachgelagerten Prozesse wie Abkühlung und Nachbearbeitung die spätere Bauteilqualität in Bezug auf Maßhaltigkeit, Toleranzen und wichtige Materialeigenschaften wie etwa Homogenität, Dichte und Festigkeit.
Diese Prozessdaten werden mit Messwerten wie Bruchdehnung, Zugfestigkeit und E-Modul, Restporosität und eventuelle Einschlüsse bei mitgebauten Prüfkörpern und Referenzbauteilen archiviert und analysiert. Mehr als 27 Jahre Erfahrung in 3D-Druck und additiver Fertigung unterstützen mit hoher Designfreiheit und Leichtbau auch großer Bauteile die Designer und Konstrukteure bei ihren Herausforderungen. jbi

Autor: Stephan Kegelmann ist Geschäftsführer von Kegelmann Technik in Rodgau.


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