29.09.2017 – Kategorie: Branchen
LafargeHolcim Awards: Nachhaltiges Bauen mit System
Die Zeiten, in denen sich die Nachhaltigkeit eines Bauprojekts an Einzelmaßnahmen festmachen ließ, sind vorbei – nachhaltiges Bauen ist heute gleichermaßen systemisch und spezifisch. Das zeigen die Resultate der LafargeHolcim Awards in der Region Europa: Der erste Preis geht ex aequo an zwei Projekte in Brüssel, die beide durch Nutzungsvielfalt überzeugen.
Bei den LafargeHolcim Awards geht es um mehr als nur schöne Bauten. Sie sind der weltweit wichtigste Wettbewerb für nachhaltiges Bauen. Die Kriterien des mit 2 Millionen US-Dollar dotierten Wettbewerbs sind so herausfordernd wie die Nachhaltigkeit selbst. Beim Wettbewerb geht es aber nicht um bereits existierende Bauten; gesucht werden Projekte in einem fortgeschrittenen Planungsstadium, die sich jenseits der heute gängigen Standards bewegen und nachhaltige Antworten auf Fragen in den Gebieten Technologie, Umwelt, Sozio-Ökonomie und Kultur präsentieren. Sie sollen das nachhaltige Bauen voranbringen und neue, überraschende und visionäre Ansätze in das Bauwesen von heute einbringen.
Von städtebaulicher Intervention bis technischer Innovation
Das Konzept der Nachhaltigkeit habe sich radikal verändert, sagt Architekturprofessor Marc Angélil von der ETH Zürich, Mitglied des Stiftungsrats der LafargeHolcim Foundation: “Früher bedeutete Nachhaltigkeit, dass man ein Projekt um einige nachhaltige Komponenten ergänzte – man fügte zum Beispiel Solarpanelen hinzu. Heute wird Nachhaltigkeit viel umfassender verstanden, das nachhaltige Bauen ist wesentlich systematischer und spezifischer geworden.”
Die Bandbreite der 792 Projekte, die für die LafargeHolcim Awards in der Region Europa eingereicht wurden und alle Vorprüfungen bestanden haben, ist entsprechend groß – sie reicht von der städtebaulichen Intervention bis zur technischen Innovation. Am Ende entschied sich die Expertenjury unter der Leitung von Harry Gugger, Architekturprofessor an der EPFL Lausanne dafür, zwei Eingaben ex aequo auf den ersten Platz zu setzen. Sie sind beispielhaft für das nachhaltige Bauen neuer Prägung, weil sie sich nicht durch Einzelmaßnahmen auszeichnen, sondern durch ein Gesamtkonzept, das technische, soziale, wirtschaftliche und ökologische Aspekte miteinander in Einklang bringt. Beide Projekte sind in Brüssel angesiedelt, genauer: am Willebroek-Kanal, für den ein übergeordneter städtebaulicher Masterplan entwickelt wurde. Dieser Masterplan trägt dazu bei, dass die Nutzungsvielfalt im industriell geprägten Viertel erhalten und Brüssel eine so vielfältige wie lebendige Stadt bleibt. Als Zentrum eines dynamischen Europas ist dies speziell für die belgische Hauptstadt ein passendes und würdiges Ziel.
Gold ex aequo: Cleverer Umgang mit Abfallbeseitigung in Brüssel, Belgien
BC architects and studies aus Brüssel führen mit ihrem Projekt die Bedürfnisse einer Abfallbeseitigungsfirma und des sich rasant entwickelnden Kanalquartiers zusammen: Innerhalb der (Infra-)Struktur bleibt Raum für öffentliche Nutzungen wie einen Grünraum. Die feine Austarierung des Baus ermöglicht künftige Transformationen und lässt die Entwicklung offen; eine besonders kluge Interpretation des Begriffs “Nachhaltigkeit”. “Indem er Infrastruktur in den Vordergrund stellt, schafft es der Entwurf, wirtschaftliche und ästhetische Überlegungen zusammenzuführen”, lobte die Jury. “So entsteht eine flexible Architektur, die aus Einschränkungen Qualitäten macht.”
Gold ex aequo: Integration einer Betonfabrik in Brüssel, Belgien
Das thematisch ähnlich gelagerte Projekt von TETRA architecten in Brüssel integriert eine bereits existierende Betonfabrik mit geeigneten Massnahmen in die sich gegenwärtig stark entwickelnde Stadtumgebung – und verhindert somit, dass ein Stück der industriellen Basis der Stadt verloren geht. Auch hier ist Durchlässigkeit ein zentraler Aspekt. “Die Spannweite architektonischer Massnahmen verleiht der Absicht, auf den ersten Blick Unvereinbares zu vereinen, Glaubwürdigkeit: Die buchstäbliche Koexistenz eigentlich inkompatibler Funktionen”, so die Jury.
Bronze: Bewohnte Parkplätze in London, Grossbritannien
Wie in vielen Metropolen fehlt auch in der britischen Hauptstadt günstiger Wohnraum. Dies will ZEDpods aus London ändern. Das Projekt sieht vor, über bereits existierenden Parkplätzen mittels vertikaler Schichtung Wohnraum für Pendler, Studierende und andere Anspruchsgruppen zu schaffen – alles mit lokal produzierbaren Elementen, die sich schnell zu nachhaltigen “Wohnungen auf Stelzen” zusammenfügen lassen. Auch hier steht also die Mehrfachnutzung von Raum im Vordergrund. Der Autor des Projekts habe “die Vision einer Architektur, die sozial verantwortbar, ökologisch sinnvoll und wirtschaftlich erschwinglich ist”, befand die Jury.
Acknowledegement prizes: Die Vergangenheit in die Gegenwart überführen
Bei den regionalen LafargeHolcim Awards erhalten jeweils vier Projekte pro Region einen Acknowledgement prize. Das Team von Ascociata Culturala Grivita 53 will Bukarest in Rumänien zum ersten unabhängigen Theater seit vielen Jahrzehnten verhelfen – durch die kluge Umnutzung einer bestehenden Struktur. AGi architects aus Madrid befassen sich mit der Aufwertung einer archäologischen Ausgrabungsstätte in Pontevedra, Spanien; auch hier spielt Mehrfachnutzung eine wichtige Rolle. Und NP2F aus Paris planen eine ebenso mutige wie luftige Freizeitanlage in Bordeaux, Frankreich. Karamuk Kuo Architekten aus Zürich setzen bei ihrem Entwurf eines archäologischen Ausgrabungszentrums für römische Siedlungen in Augusta Raurica in Augst (Schweiz) auf ein flexibles strukturelles System, um verschiedene Nutzungsmöglichkeiten zu bieten und sich an künftige Herausforderungen anpassen zu können.
Next Generation prizes: Ihnen gehört die Zukunft
In der Next Generation Kategorie wurden insgesamt vier Preise vergeben. Diese Kategorie richtet sich an Studenten und Berufsleute bis zum 30. Altersjahr und sucht nach visionären Projekten und mutigen Ideen. Durch die Next Generation prizes erhält der Nachwuchs öffentliche Beachtung. Die Kategorie wird mit jedem Wettbewerbszyklus beliebter; erstmals in der Geschichte der LafargeHolcim Awards wurden sogar mehr Projekte in der Next Generation Kategorie eingereicht als in der Hauptkategorie. Zwei von vier europäischen Next Generation prizes gingen nach Polen. Malgorzata Mader transformiert ein altes Fabrikgebäude in Lodz in neuen, flexibel nutzbaren Wohnraum. Den zweiten Preis gewann Jakub Grabowski; er führt in Otyn einen historischen, aber verfallenen Gebäudekomplex sanft einer neuen Nutzung zu. Anna Andronova aus Russland erstellt am Beispiel von Kazan ein virtuelles Modell, das Nachhaltigkeit in digitale Dimensionen erheben soll. Ein weiterer Preis ging in die Schweiz an Frédéric Bouvier. Er plant eine Struktur, die beim Löschen von Waldbränden in der Region Collobrières in Frankreich helfen kann.
Aus einem Projekt wird Realität für französische Studenten
Der aktuelle Zyklus der LafargeHolcim Awards ist bereits der fünfte. Bislang wurden im Rahmen dieses Wettbewerbs weltweit über 200 Projekte ausgezeichnet; mehr als die Hälfte davon wurde mittlerweile entweder umgesetzt oder steht vor der Realisation. Bei den Awards geht es also nicht nur um Luftschlösser, sondern um konkrete Maßnahmen, die das Bauen weiterbringen. Diesen Aspekt unterstreicht ein Preis, der 2017 erstmals vergeben wird – die LafargeHolcim Building Better Recognition. Sie wird für ein Siegerprojekt aus einem früheren Wettbewerbszyklus ausgesprochen, das sich als besonders geglücktes Beispiel für umgesetztes nachhaltiges Bauen gezeigt und bewährt hat. In Europa ging die Auszeichnung an Gilles Delalex und sein Team von Muoto Architecture Studio in Paris. Den Architekten gelang es, die Infrastruktur für acht Universitäten unter dem Dach eines höchst ökonomischen und im Bau kosteneffizienten Gebäudes unterzubringen. Das Projekt gewann den LafargeHolcim Awards Silber 2014. 2016 wurde das Gebäude fertig gestellt; seither beweist es, dass die Theorie in der Praxis bestehen kann.
Preise verhelfen dem Common Sense zum Durchbruch
Nachhaltigkeit gilt in der Bauindustrie mittlerweile als Standard. Dies beweist das stetig steigende Interesse von Architekten, Ingenieuren, Stadtplanern und Entwicklern an diesem Thema. Für den 5. Wettbewerbszyklus der LafargeHolcim Awards wurden über 5’000 Projekte aus 121 Ländern eingereicht. 3’606 davon erfüllten die Wettbewerbskriterien, mehr als die Hälfte überstand die Vorauswahl. Diese wurden an die Expertenjurys in den Wettbewerbsregionen Europe, Nord Amerika, Lateinamerika, Mittlerer Osten und Afrika, und Asien-Pazifik zur qualitativen Einschätzung weitergegeben. Die Jurys beurteilten die Projekte auf der Grundlage der fünf “Target Issues” für nachhaltiges Bauen der LafargeHolcim Foundation. Diese Prinzipien definieren nachhaltiges Bauen in einem ganzheitlichen Ansatz. Die Gewinner der Gold-, Silber- und Bronzeauszeichnungen jeder Wettbewerbsregion qualifizieren sich automatisch für die Teilnahme an den Global LafargeHolcim Awards 2018.
LafargeHolcim Awards Siegerprojekte Europa
LafargeHolcim Awards Gold ex aequo 2017 Europa
Mix-City: Städtische Integration einer bestehenden Betonmischfabrik, Brüssel, Belgien
Das Projekt verbindet eine bestehende Betonmischfabrik mit einer städtischen, industriell geprägten Umgebung.
Von Wes Degreef, Ken De Cooman, Nicolas Coeckelberghs, Laurens Bekemans, Jasper Poesen, BC architects and studies, Brüssel, Belgien.
LafargeHolcim Awards Gold ex aequo 2017 Europa
Logistics Framework: Anpassungsfähige Struktur für eine Abfallbeseitigungsfirma, Brüssel, Belgien
Ausgezeichnet wird der Entwurf für eine flexible Abfallsammelanlage, der sich dafür einsetzt, dass logistische Infrastruktur im städtischen Kontext erhalten bleibt.
Von Ana Castillo, Lieven de Groote, Jan Terwecoren, Annekatrien Verdickt, TETRA architecten, Brüssel, Belgien.
LafargeHolcim Awards Bronze 2017 Europa
Air Rights: Null-(Fossil-)-Energie-Wohneinheiten über Parkplätzen, London, Grossbritannien
Das Konzept für nachhaltige Wohneinheiten über bereits existierenden öffentlichen Parkplätzen bietet eine raffinierte Antwort für Londons Wohnraumknappheit.
Von ZEDpods Ltd, London, Grossbritannien.
LafargeHolcim Awards Acknowledgement prize 2017 Europa
Back-Alley Front Stage: Erstes unabhängiges Theater, Bukarest, Rumänien
Ein unabhängiges Theater – das erste in der Stadt seit 1946 verwandelt ein heruntergekommenes Gebäude in ein Kulturlokal.
Von Chris Simion-Mercurian und Tiberiu Mercurian, Ascociata Culturala Grivita 53; Codrin Tritescu und Petre Frangulea, Arhitecture Office Codrin Tritescu, Bukarest, Rumänien.
LafargeHolcim Awards Acknowledgement prize 2017 Europa
Bio-Palimpsest: Ein ökologischer Zugang zu archäologischen Ausgrabungsstätten, Pontevedra, Spanien
Dier geplante Landschaftspark mit einfachen Mitteln und vielschichtigen Interpretationen lässt sich für verschiedene archäologische Ausgrabungsstätten adaptieren.
Von Joaquín Pérez-Goicoechea, AGi architects, Madrid, Spanien.
LafargeHolcim Awards Acknowledgement prize 2017 Europa
Radical Archaeology: Ausgrabungszentrum für die römische Siedlung Augusta Raurica, Augst, Schweiz
Der Bau bietet mit einem flexiblen strukturellen System verschiedene Nutzungsmöglichkeiten.
Von Ünal Karamuk und Jeannette Kuo, Karamuk Kuo Architekten, Zürich, Schweiz.
LafargeHolcim Awards Acknowledgement prize 2017 Europa
Stacking Sports: Nachbarschafts-Freizeitanlage, Bordeaux, Frankreich
Der Bau vereint verschiedene Sportanlagen und macht Sport so zum sozialen Kondensator.
Von François Chas, Nicolas Guerin, Fabrice Long, Paul Maître-Devallon und Ana Miscu, NP2F, Paris, Frankreich.
LafargeHolcim Awards Next Generation 1st prize 2017 Europa
Ecommunity: Umwandlung einer Fabrik in Wohnraum, Lodz, Polen
Das Projekt mit dem Titel “ecommunity” wandelt eine existierende Fabrik in gemeinschaftlichen Wohnraum um.
Von Malgorzata Mader, Lodz University of Technology, Lodz, Polen.
LafargeHolcim Awards Next Generation 2nd prize 2017 Europa
Modern Sanctuary: Umwandlung eines Klosters in eine Einrichtung zur Rehabilitation von Menschen mit Verhaltensstörungen, Otyn, Polen
Entwurf für ein Rehabilitationszentrum auf den Ruinen eines Klosters ist von hoher Qualität und sozialem Wert.
Von Jakub Grabowski, Gdynia, Polen.
LafargeHolcim Awards Next Generation 3rd prize 2017 Europa
Liquid Era: Raumkonzepte für eine Stadt der Zukunft, Kazan, Russland
Die Autorin erkundet ein neues architektonisches Vokabular für eine Stadt der Zukunft in einer Zeit, die ebenso von der Körperlichkeit der Dinge wie von der Ungreifbarkeit der digitalen Welt geprägt ist.
Von Anna Andronova, UCL Bartlett School of Architecture, London, Grossbritannien.
LafargeHolcim Awards Next Generation 4th prize 2017 Europa
Slow Burn: Wasserzisterne und Waldunterstand, Collobrières, Frankreich
Ein Wassertank, welcher der Bekämpfung von Waldbränden dient, ist ein attraktiver Blickfang in der Landschaft.
Von Frédéric Bouvier, Renens, Schweiz.
Bild: Der erste Preis geht ex aequo an zwei Projekte in Brüssel, die beide durch Nutzungsvielfalt überzeugen: die beiden Gewinner-Teams.
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