23.04.2019 – Kategorie: Fertigung & Prototyping, Hardware & IT
Model Based Systems Engineering: Frühes Verifizieren in der Entwicklung
Die Industrie ist derzeit geprägt von einer Zunahme der Produkt- und Projektkomplexität, der Anforderungen an regulatorische Nachweispflichten und Konfigurationsmanagement sowie einer Effizienzsteigerung. Für die Bewältigung der komplexen Herausforderungen wird Model Based Systems Engineering (MBSE) immer mehr zu einem echten Wettbewerbsvorteil. Das neuartige Konzept hilft nicht nur bei der Beherrschung der Produktkomplexität, sondern auch bei der Komplexität des Entwicklungsprozesses. › von Dr. Stephan Husung, Dr. Sven Kleiner, Ilya Klyashtornyy und Gabriel Lindemann
Die Industrie ist derzeit geprägt von einer Zunahme der Produkt- und Projektkomplexität, der Anforderungen an regulatorische Nachweispflichten und Konfigurationsmanagement sowie einer Effizienzsteigerung. Für die Bewältigung der komplexen Herausforderungen wird Model Based Systems Engineering (MBSE) immer mehr zu einem echten Wettbewerbsvorteil. Das neuartige Konzept hilft nicht nur bei der Beherrschung der Produktkomplexität, sondern auch bei der Komplexität des Entwicklungsprozesses. › von Dr. Stephan Husung, Dr. Sven Kleiner, Ilya Klyashtornyy und Gabriel Lindemann
Im Mittelpunkt des MBSE-Ansatzes steht das Systemmodell, was eine abstrahierte Repräsentation des realen Systems über alle beteiligten Entwicklungsdomänen darstellt. Das Systemmodell wird im Rahmen des Entwicklungsprozesses systematisch mit Hilfe von Systems-Engineering-Methoden definiert und verfeinert, an die Entwicklungsbereiche übertragen und für die Verifikation eingesetzt. Der Übergang von der dokumentenzentrierten zur modellzentrierten Arbeitsweise in Verbindung mit atomaren Anforderungen in Anforderungsmanagement-Werkzeugen bringt zahlreiche Mehrwerte für den Entwicklungsprozess. So wird beispielsweise eine Nachverfolgung der Kundenanforderungen über die Spezifikation bis zu den Verifikationen (wie oft regulatorisch gefordert) erst durch den modellzentrierten Ansatz ganzheitlich möglich.
Als Standard für die semi-formale Modellierung technischer Systeme hat sich der OMG-Standard SysML (Systems Modeling Language) durchgesetzt. {1} SysML als grafische Modellierungssprache für das Systems Engineering ermöglicht die statische und dynamische Beschreibung des Systems mit nutzer- und aufgabenspezifischen Sichten. Das Systemmodell ist die Basis für die domänenübergreifende Systemspezifikation, Abstimmungen zwischen den Entwicklern und eine erste Systemverifikation. Hierfür werden aus dem Systemmodell abgeleitete Domänenmodelle erzeugt. Für die Erstellung der Domänenmodelle kann sowohl das Modellierungstool des Systemmodells verwendet werden als auch die domänenspezifischen Tools. Die Domänenmodelle werden anschließend über die im Systemmodell spezifizierten Schnittstellen so miteinander gekoppelt, dass eine Gesamtsystemanalyse und -simulation möglich wird.
Für die durchgehende Nutzung des Systemmodells im Entwicklungsprozess unterscheidet man zwei Tool-Umgebungsvarianten:
1. Integrative Umgebung, bei der der Datenaustausch über das Datenmodell in einer Plattform, die alle relevanten Autorentools beinhaltet, realisiert wird.
2. Föderative Umgebung, bei der zwischen den autarken Autorenwerkzeugen ein Datenaustausch über Direkt-Schnittstellen, Datenaustauschformate oder föderierende Tools realisiert wird.
Nachfolgend wird ausschließlich auf die föderativen Umgebungen eingegangen.
Gesamtsystemanalyse und -simulation bei MBSE
Eine gesamte Systemsimulation im Kontext von MBSE hat in der Regel das Ziel, das funktionale und logische Soll-Verhalten des Systems zu verifizieren. Bei der Systemsimulation unterscheidet man zwischen drei Konzepten:
1. Erzeugung eines Simulationsmodells durch Transformation des SysML-Modells in ein Simulationsmodell, zum Beispiel Modelica. Die Simulation selbst wird im Simulationswerkzeug durchgeführt.
2. Direkte Anbindung von Simulationen an das SysML-Modell. Hierfür muss das Tool direkte Schnittstellen zu Simulationstools, wie Matlab, besitzen, sodass über den Solver im SysML-Tool die einzelnen Simulationen in den Simulationstools gestartet werden können.
3. Nutzung des Tool-unabhängigen Standards Functional Mockup Interface, um Simulationsmodelle oder Modelle einschließlich Solver an das SysML-Modell zu koppeln.
Bei allen drei Konzepten übernimmt das Systemmodell die ganzheitliche Beschreibung des Systems. Beim Konzept 1 muss das Simulationsmodell jedoch nach einer Modifikation des Systemmodells neu erzeugt oder manuell angepasst werden. Bei Konzept 2 und 3 können die Auswirkungen der Anpassung des Systemmodells direkt analysiert werden. Die Simulationsmodelle werden in der Regel von den Fachdomänen erstellt beziehungsweise angepasst. Nachfolgend werden auszugsweise Beispiele vom Konzept 1 und vom Konzept 2 vorgestellt.
Modellbasierte Verifikation
Das Beispiel in Bild 2 zeigt das Vorgehen von Konzept 1 anhand einer Magnetkupplung, die im SysML-Tool Cameo Systems Modeler modelliert wurde. Im SysML-Modell werden die Anforderungen an das System und die funktionale sowie logische Architektur beschrieben. Durch Anreicherung des Systemmodells mit Modelica-Attributen entsteht ein erweitertes Systemmodell, welches sich als Modelica File exportieren lässt. Mithilfe von Modelica Tools, hier SimulationX, kann das Modelica File vom Systemmodell importiert und zur Verifikation simuliert werden. Damit wird das SysML-Modell zum „Single-Source“ für den Systemaufbau und das Verhalten {2}.
Für die Systementwicklung entsteht durch die modellbasierte Verifikation der Mehrwert, sodass die Verifikationen bereits sehr früh und kontinuierlich im Entstehungsprozess erfolgen sowie Zeit und Kosten eingespart werden.{3} Das Beispiel in Bild 3 für Konzept 2 zeigt eine Integration von Matlab/Simulink in das SysML-Tool Cameo Systems Modeler (CSM) am Beispiel eines ACC-Systems (Adaptive Cruise Control). Die Simulation wird im CSM durchgeführt und ruft im Hintergrund Matlab/Simulink auf, um das reale Verhalten im Systemkontext zu berechnen. Die Zustände des ACC-Systems im Kontext des Fahrzeugs einschließlich der verhaltensrelevanten Schnittstellenparameter sind im SysML-Modell beschrieben. Somit wird eine Gesamtsimulation aus dem SysML-Tool heraus möglich. Damit entsteht der Vorteil, dass bereits auf Basis des Gesamtfahrzeugkonzeptes in sehr frühen Phasen das Verhalten auch für unterschiedliche Varianten analysiert und verifiziert werden kann.
MBSE als Mittel für die frühzeitige Verifikation im Entwicklungsprozess bietet folgende Vorteile:
› Verbesserung der interdisziplinären Kommunikation zwischen den Fachbereiten und Reduzierung von Fehlern durch eine einheitliche Datenbasis für die Entwicklung und Verifikation
› Frühzeitige Verifikation auf Basis eines abgestimmten Systemmodells
› Wiederverwendung bereits durchgeführter Systemspezifikationen und Repräsentation von Erfahrungswissen. sg ‹
Dr. Stephan Husung, Dr. Sven Kleiner, Ilya Klyashtornyy und Gabriel Lindemann, sind tätig bei :em engineering methods AG.
{1} Weilkiens, T. I.M. SYSMOD – The Systems Modeling Toolbox – Pragmatic MBSE with SysML, 2016
{2} Kleiner, Sven; Husung, Stephan; Mandel, Constantin; Albers, Albert; Behrendt, Matthias: (Model-Based) Systems Engineering für die Digitalisierung der Produktentwicklung, TdSE 2017
{3} Albers, Albert; Behrendt, Matthias; Klingler, Simon; Matros, Kevin. Verifikation und Validierung im Produktentstehungsprozess. Handbuch Produktentwicklung, pp. 541 – 569
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