19.05.2021 – Kategorie: Architektur & Bau
Monitoring-System: Wie Predictive Maintenance das Bauwesen verändert
Während Condition Monitoring im Maschinenbau seit vielen Jahren etabliert sind, steckt die digitale Zustandsüberwachung im Bauwesen noch in den Kinderschuhen. Das liegt zum einen an der Zugänglichkeit bei bereits gebauten Gebäuden und deren Infrastruktur, aber zu einem Großteil an der kosten- und ressourcenintensiven Umsetzbarkeit durch viele Schnittstellen und Inkompatibilitäten.
Monitoring-System: Das Konzept des Condition Monitoring basiert auf einer regelmäßigen oder permanenten Erfassung des Gebäudezustandes durch Messung verschiedenster physikalischer Größen, zum Beispiel Temperatur, Feuchtigkeit oder Kraft. Durch kontinuierliches und detailliertes Monitoring entstehen enorme Datenmengen in unterschiedlichen Datenformaten, die verarbeitet und aufbereitet werden müssen. Die bislang verfügbaren Monitoring-Lösungen sind meist als proprietäre Insellösungen konzipiert, und bieten kaum Möglichkeit zur Adaption einer bedürfnisbezogenen, langfristig flexiblen Predictive-Maintenance-Plattform.
Zustandsüberwachung hat viele Vorteile
Dabei dient die Überwachung des baulichen Zustands nicht nur der Sicherheit, sondern liefert entscheidende Indikatoren zur Erhaltung, Lebensdauervorhersage und Effektivität von Planungsentscheidungen. Insbesondere die Früherkennung von Wartungs- oder Reparaturmaßnahmen bietet im Gebäudebetrieb großes Potenzial zur zielgerichteten Wartung einzelner Bauteile.
Offene Lösung für Monitoring-System für Bauwerke
Den Schlüssel zum kontinuierlichen Gebäudemotoring liefern offene, Plattform-basierte Lösungen, die Messtechnik, Verarbeitungs-Hub und Ausgabegeräte entkoppeln. Ein Konzept, dass das vom BMWi geförderte Forschungsprojekt DigitalTWIN erarbeitet hat. Basierend auf offenen Standards, zukunftsfähigen Schnittstellen und durch Nutzung von Edge-Cloud- und Cluster-Computing-Technologien, wie im Bereich Industrie 4.0, ist es durch DigitalTWIN möglich, die Integration von smarter anwendungsbezogener Mess- und Sensortechnik wesentlich zu vereinfachen. Mit dieser Cloud-basierten Monitoring-Konfiguration setzt das Forschungsprojekt einen Meilenstein im IoT für das Bauwesen, weil die Themen unterschiedlicher Cloud-Architekturen sowie die verteilte, föderale Datenspeicherung und -aggregation umgesetzt werden.
Die Plattform liefert kontinuierliche und mobile Fassaden- und Bauteilüberwachung in Echtzeit. Sie ist dabei auf verschiedene Monitoring-Bereiche, wie Dokumentation, Qualitätssicherung, Wartung und Gebäudemanagement für komplexe Fassaden ausgelegt. DigitalTWIN nutzt dafür standardisierte Soft- und Hardware, dadurch ist die IT-Umgebung offen und ermöglicht die einfache, sichere und skalierbare Vernetzung von physischen Objekten, sprich Messdatensammler und Verarbeitungssystem sowie deren Visualisierung.
Umfangreiche IT-Architektur
Die IT-Architektur umfasst Messtechnik zur Aufnahme der physikalischen Daten, ein Monitoring Hub zur Datenverarbeitung und ein konfigurierbares Dashboard zur Analyse und Darstellung der Messdaten. Mit offenen Schnittstellen kann die Messtechnik je nach Anforderung, zum Beispiel Spannungsanalysen an Bauteilen, Oberflächentemperatur, Zwischenraum-Kondensat oder Wetterdaten, auswerten.
Um für den Gebäudebetreiber bzw. den Wartungsingenieur einfach bedienbare User Interfaces bereitzustellen, nutzt DigitalTWIN eine Cloud-Clusterarchitektur auf Basis eines ScaleIT-Technologiestacks. Darin eingebunden sind Microservices für IFC/BIM-Daten, Messwerterfassung, -weitergabe und -speicherung sowie eine Middleware zur Aufbereitung der Daten und das Interface zur Visualisierung.
Infrastrukturbauten im Blick
Anwendung fand die DigitalTWIN-Plattform bereits bei einem Projekt des Fassadenbauspezialisten seele. Das digitale Monitoring wurde dabei zur Qualitätssicherung bei der Montage einer antiklastischen Seilfassade eingesetzt. Der Fassadenbauspezialist konstruierte für den neuen Eingang der Penn Station im Zentrum von New York City einen Stahlrahmen mit einem Netz aus gegeneinander verspannten Quer- und Längsseilen aus Edelstahl. Durch die Spannung der Seile neigt sich der knapp 15 m hohe A-förmiger Rahmen in den im Architekturentwurf vorgesehenen 45°-Winkel. Um die Seilkräfte vor Ort und am seele-Hauptsitz in Gersthofen prüfen zu können, war ein robustes Messkonzept und die kontinuierliche Messdatenauswertung gefordert.
Zur Messung der Kräfte wurden die Längs- und Querseile mit Kraftmessringen ausgestattet. Messverstärker und Gateways ermöglichen die sofortige Datenweiterleitung an die ScaleIT-Plattform sowie die Pufferung vor Ort, falls Übertragungsfehler erkannt werden. Ein Algorithmus auf der Cloud-Plattform im rund 6.500 km von New York entfernten Gersthofen führte die Analysen durch und übertrug die Ergebnisse visuell aufbereitet über die sichere Verbindung zurück zu den Mitarbeitern vor Ort.
Das Konzept wurde so gewählt, da die genutzten Microservices und die Software-Entwicklungsumgebung in Gersthofen von den Softwareingenieuren direkt verwaltet werden konnte. Die Art der Datenverarbeitung, die DigitalTWIN bereits in der Forschungsdemo für Wartungsunterstützung bei doppelschaligen Fassaden erfolgreich getestet hatte, konnte so direkt bei einem Bauprojekt angewendet werden.
In New York wurden der Datenstrom der Messtechnik sowie die Analysedaten live überwacht um den Installationsprozess schneller und gezielter durchführen zu können. Zudem hatten die Ingenieure die aufbereiteten Kraftmessungen auf einem ei-gens für die Anwendung konfigurierten Dashboard im Blick. Ein übersichtliches Ampelsystem zeigte Grenzwertüberschreitungen an, und Detailansichten ermöglichen dann gezielte Analysen bei Abweichungen.
Grundstein für Predictive Maintenance
Eine solche Anwendung legt den Grundstein für Predictive Maintenance. Permanente Messdatenerfassung liefern stetige Informationen zum Zustand eines Bauwerks zu zentralen Wartungsstellen weltweit. Bei Auffälligkeiten meldet das Monitoring-System etwaige Grenzwertabweichungen auf dem Dashboard. Möglich ist auch eine zentrale Anbindung, die einen entsprechenden Prozess bei den Wartungsmitarbeitern auslöst, wie DigitalTWIN beispielsweise im Rahmen der digitalBAU bei Demos gezeigt hatte.
Für Kunden und Hersteller werden dadurch Wartungs- und Service-Intervalle wesentlich besser planbar, kosten- und zeitintensive Vor-Ort-Wartung werden reduziert und die Vernetzung von Daten und Wartungsaufträgen über unterschiedliche Dienstleister hinweg werden möglich. Die offene Architektur erlaubt auch das Retrofitting von Bestandsgebäuden, das heißt, Bauwerke können nachträglich mit Messtechnik ausgestattet werden. Besonders sinnvoll ist eine solche Nachrüstung bei Infrastrukturbauten mit häufigen Wartungsintervallen, großen Distanzen zum Wartungsunternehmen sowie stark frequentierten oder schwer zugänglichen Bereichen, die für Wartungszwecke großräumig abgeriegelt werden müssen.
Einen weiteren Schritt gehen die Forschungspartner bei der Einbindung von einem Monitoring-System in die Gebäudeautomation und -steuerung. Möglich wird dies ebenfalls durch offene Schnittstellen und Protokolle. Diesen Ansatz hat das Forschungsprojekt in einer Demoanwendung für doppelschalige Fassadenelemente bereits untersucht. Mithilfe einer Sensortechnik werden Veränderungen durch Wettereinflüsse, abweichende Einzelzustände oder kritische Temperatur- und Feuchteverhältnisse gezogen.
Monitoring-System: Vernetzte Lösungen für Bauprojekte
Die technische Voraussetzung bei der Gebäudeausrüstung wird durch weitere Herausforderungen im Bausektor ergänzt: Wechselnde Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten über den Gebäudelebenszyklus hinweg, international unterschiedliche Standards und Regulierungen sowie ständig wechselnde Partner bei Planung, Fertigung und Betrieb. Digitale Lösungen zur kontinuierlichen Zustandsüberwachung tragen diesen Anforderungen Rechnung, wenn sie kompatibel, einfach zu administrieren und anpassbar auf die Rahmenbedingungen sind.
Mittelfristiges Ziel ist es somit, Bau und Gebäudebetrieb zu vereinfachen sowie Anwendern eine vertrauenswürdige und flexibel erweiterbare Kommunikations- und Administrations-Infrastruktur zur Verfügung stellen. Offene Plattformarchitekturen, weiterentwickelte Breitbandkommunikationstechnologie, Computer Vision-Technologien und BIM sind dabei technologische Lösungsansätze, die zusammenwachsen müssen.
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