24.04.2023 – Kategorie: Hardware & IT

PLM im Mittelstand: Das Expertengespräch

PLM im MittelstandQuelle: Vadim, AdobeStock

Durchgehende PLM-Lösungen sind in kleinen und mittelständischen Fertigungsunternehmen nicht immer selbstverständlich. Dabei kommen auf die Fertigungsindustrie gerade jetzt komplexe Aufgaben zu. Produktentwicklung und Datenmanagement müssen Anforderungen an die Lieferketten und an nachhaltige Lösungen und Abläufe immer stärker berücksichtigen.

Was das für die Auswahl der passenden PLM-Lösungen bedeutet, erklären hier vier Fachleute aus der Perspektive der Softwareanbieter: Der Weg zum richtigen PLM im Mittelstand.

Fragen an die Experten

  1. Was sind für Sie aktuell die wichtigsten Herausforderungen, was das Datenmanagement in Fertigungsunternehmen betrifft?
  2. Wie sollten Unternehmen bei der Einführung einer durchgehenden PLM-Lösung vorgehen?
  3. Können Sie uns, bitte, ein Beispiel dafür nennen, was eine Implementierung zum Erfolg werden lässt?
  4. Welche Trends sehen Sie in der Produktentwicklung und wie sollten sich diese im PLM widerspiegeln?
  5. Inwiefern können PLM-Systeme dazu beitragen, die Anforderungen an nachhaltige und sozial akzeptable Lieferketten und Produktionsverfahren zu erfüllen?

PLM im Mittelstand: Was wird benötigt?

PLM im Mittelstand
Bild: Aras

Stéphane Guignard, Vice President Operations Europe bei Aras:

1. Ein Haupthindernis, das es zu überwinden gilt, sind abgeschottete Datensilos. Nur so kann das Zielbild eines wirklich durchgängigen Product Lifecycle Managements Realität werden. Eine offene PLM-Lösung bricht Silos auf, so dass Mitarbeiter über den gesamten Produktlebenszyklus hinweg auf sichere Weise auf Informationen zugreifen können, ohne an ein bestimmtes Tool oder einen bestimmten Anbieter gebunden zu sein. In Unternehmen, die hingegen an geschlossenen Systemen festhalten, werden weiterhin Daten manuell von einem System in das andere übertragen: Die Folgen: Eine hohe Fehleranfälligkeit und fehlende Transparenz.

2. Die Einführung ist kein in sich abgeschlossenes Einmal-Projekt, sondern ein Prozess: Als Ausgangspunkt der PLM-Reise eignet sich der robusteste Teil des Produktlebenszyklus. Schritt für Schritt werden dann weitere Teile hinzugefügt, um später den gesamten Prozess von Anfang bis Ende abzudecken.

3. Sie müssen die Belegschaft von Anfang an einbinden, um schnelle Erfolge und gute Ergebnisse zu erzielen. Das ist zentral für die Projektsteuerung. Wichtig ist dabei vor allem der Zeitrahmen: Zwischen Projektstart und Bereitstellung der ersten PLM-Version dürfen nicht mehr als sechs bis neun Monate vergehen.

4. Unternehmen müssen sich flexibel an veränderte Marktbedingungen und neue Gesetze anpassen können. Da die gesetzlichen Anforderungen sich ständig weiterentwickeln, wird deren Einhaltung in allen Branchen zu einem zentralen Thema. Die entscheidende Frage, die sich Unternehmen bei der Suche nach einer Lösung für PLM im Mittelstand stellen müssen, lautet: Ermöglicht uns diese Lösung, kontinuierlich mit dem Wandel Schritt zu halten?

5. Moderne PLM-Plattformen reichen heute tief in die Lieferkette hinein und ermöglichen eine Zusammenarbeit in Echtzeit. Cloudbasierte SaaS-Lösungen sorgen dabei für eine durchgängige Datenverfügbarkeit. Dieses Maß an Kommunikation und Zusammenarbeit kann wertvolle Erkenntnisse liefern, um Kosten zu senken, Risiken zu teilen und die Compliance zu verbessern. Gemeinsam mit den Partnern in der Supply Chain kann so der effizienteste und nachhaltigste Weg gefunden werden.

PLM im Mittelstand
Bild: Autodesk

Jan Niestrath, Industry Manager Manufacturing bei Autodesk:

1. Eine zentrale Herausforderung ist neben den internen Prozessen die Zusammenarbeit mit verschiedenen Lieferanten und Partnern. Oft ergibt sich daraus ein breites Spektrum an Autorensystemen. Der resultierende Datenaustausch und nicht anforderungsgerechte Kollaborationsprozesse führen häufig zu Fehlern, Datenverlusten und Verzögerungen.

2. Cloud-basierte Lösungen ermöglichen es, Produktdaten und Abwicklungsprozesse über eine zentrale Informationsquelle zu koordinieren – unabhängig von der Anzahl der Projektpartner und genutzter Systeme. Das bricht Datensilos auf und reduziert nicht-wertschöpfende Tätigkeiten wie die Suche nach Daten oder gar deren Neuerstellung.

3. Um die Einführung eines PLM im Mittelstand zum Erfolg werden zu lassen, braucht es eine geeignete Implementierungsstrategie, die schrittweise und flexibel die Prozesse in den Fokus nimmt, die zuerst optimiert werden müssen. Nicht zu unterschätzen ist auch der hohe Stellenwert der Mitarbeitenden bei der Einführung: Nur wenn alle Beteiligten frühzeitig einbezogen werden, werden sie offen für die neuen Werkzeuge sein und versiert mit diesen umgehen.

4. PLM ist ein Ansatz, der seine Ursprünge in den 1990er Jahren hat, jedoch konnten bis dato die Erwartungen an diesen Ansatz häufig nicht erfüllt werden. Somit halte ich Möglichkeiten, die Methodik und Systeme zielgerichtet und pragmatisch einzuführen für den wichtigsten Erfolgsfaktor. Hier spielen die Neuerungen eine entscheidende Rolle, die uns Cloud-Software und der Einsatz künstlicher Intelligenz ermöglicht haben, was zum Beispiel Implementierungsaufwand und Reduzierung nicht-wertschöpfender Tätigkeiten betrifft.

5. Ein gutes Beispiel hierfür ist die Firma NovaCentrix, die ihre Daten der Qualitätskontrolle mit PDM und PLM zentralisieren konnte. Der Entwickler und Anbieter leitfähiger Druckertinten und -pulver für die Elektronikindustrie konnte durch die Implementierung von Autodesk PLM die eigenen Prozesse in Echtzeit verfolgen, Daten zur Qualitätskontrolle zentralisieren und so mit dem wachsenden Geschäftsvolumen schritthalten. Durch die gewonnene Transparenz in der Lieferkette ist die Sorgfaltspflicht jederzeit lückenlos prüf- und nachvollziehbar. Alle Veränderungen im System werden in Echtzeit gemeldet, und das Team kann ohne Verzögerungen reagieren. Das führte zu einer besseren und schnelleren Qualitätskontrolle, effizienteren Prozessen und darüber hinaus zu einer monatlichen Abfallreduzierung von über 80 Prozent.

Bessere Datennutzung für mehr Nachhaltigkeit

Bild: Contact Software

Dr. Patrick Müller, Director Innovation Strategy bei Contact Software:

1. Digitale Transformation ist nach wie vor ein führendes Ziel der Industrie und PLM der Hebel für durchgängige Prozessketten. Das zeigt sich unter anderem an der Anbindung von Systemen aus dem Lead-to-Cash-Prozess, der Lieferkettenorganisation oder bei der Integration von PLM und MES. Nahezu alle Stammdaten und Geschäftsobjekte haben einen Lifecycle, der sich über digitale Zwillinge mit den dynamischen Daten der realen Produkte verbinden lässt.

2. Prozessorientiert und mit Fokus auf den realen Nutzen! Neben der fachlich und technisch abgesicherten Software-Auswahl sind gut organisierte Daten entscheidend, die im PLM aufgabengerecht aufbereitet sind und einem transparenten Lifecycle unterliegen. Die Kunst besteht darin, klare Geschäftslogiken im Unternehmen zu implementieren und die Komplexität zugunsten robuster, gut bedienbarer Anwendungen zu reduzieren.

3. Ein Team, das technologisches Grundwissen und ein Verständnis der Daten und ihrer Abhängigkeiten im Einzelfall mitbringt, aber auch mit den Projektanforderungen reifen kann. Gerade beim Design einer Gesamtlösung für PLM gilt: Erfahrung macht den Meister, Zeitdruck ist kontraproduktiv.

4. PLM wird die Nachhaltigkeit von Produkten, Fertigungsprozessen im Sinne einer Kreislaufwirtschaft in naher Zukunft noch besser unterstützen. Die formale Erfassung der Produktanforderungen, das Simulationsmanagement mit Fokus auf Design for Environment (DfE), ein umfassendes Stammdatenmanagement (MDM) und die Nutzung von Echtzeitdaten (Energieverbrauch etc.) zur Optimierung von Produkten, Produktion und Betrieb sind Beispiele dafür.

5. PLM unterstützt die Werkstoffdatenverwaltung, CAE-Prozesse, das Anforderungsmanagement und vielseitige Aggregationsanalysen (Materialeinsatz, Gewichtsmanagement, Costing). Als Master der Produktstrukturen für Baukästen und die Auftragsabwicklung ist PLM der effektive Anknüpfungspunkt für Kollaborationsportale und die Datenflüsse in Lieferketten, wie beispielsweise Lieferantenauskünfte im Rahmen der Material Compliance.

PLM im Mittelstand
Bild: Revalize

Johann Dornbach, SVP of Product, Revalize:

1. Fertigungsunternehmen stehen vor den unterschiedlichsten Herausforderungen. Die Komplexität besteht in der durchgehenden Anbindung von Systemen und Prozessen und in der Zusammenführung der verschiedensten Mitarbeiter und Organisationseinheiten zu einem Ensemble. Nur in Kombination wird ein Ensemble zu einem herausragenden Orchester.

2. Heterogene IT-Systeme, differenzierte Prozessgranularität sowie der Grad der Wandlungsfähigkeit – Unternehmen sind per se sehr unterschiedlich. Aus unserer Sicht ist es daher entscheidend, sich zuerst ein klares Bild über die aktuelle und zukünftige Abbildungs- und Integrationstiefe eines solchen Systems sowie über die Transformationsfähigkeit der Organisation einhergehend mit den Fähigkeiten der Mitarbeiter zu machen.

3. Wir sprechen von einer gelungenen Einführung, wenn die neue Lösung alle Mitarbeiter in ihrem Arbeitsumfeld stärkt und sie einen wesentlichen Beitrag zur Produktivität des Unternehmens leistet.

4. Nachhaltige, ressourceneffiziente und vernetzte Produkte werden die Zukunft prägen. Hierfür müssen neue und effizientere Lösungswege zur Unterstützung innerhalb der Produktentwicklung geschaffen werden. Vor allem die Durchgängigkeit von Daten muss neu gedacht werden. Konfigurierbare Modelle, die Ableitung von Daten und Integration in den Produktlebenszyklus sowie deren Rückführung sind aktuelle Themen, an denen wir intensiv für unsere Kunden arbeiten, um ihre Wettbewerbssituation in volatilen Märkten zu stärken.

5. Die Bedeutung von PLM im Mittelstand hat in den letzten Jahren signifikant zugenommen. Die Einbindung sämtlicher Akteure entlang von Liefer- und Produktionsketten bilden eine wichtige Grundlage beim Thema Sustainability. Die Nutzung von Daten aus PLM-Systemen, Cloud-Computing und künstliche Intelligenz sind ein Schlüssel, um Klima und Umwelt zu schützen und Ressourcen effizient zu nutzen.

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