12.11.2021 – Kategorie: Architektur & Bau
RAM-Software: Wolkenkratzer in 3D
One Blackfriars in London ist sicher eines der markantesten Gebäudekomplexe Europas.
RAM-Software in der Praxis: Sein 50-stöckiger Wohnturm steht im Mittelpunkt, angrenzend ein Podium sowie ein Boutiquehotel mit 161 Zimmern über einem dreigeschossigen Untergeschoss mit Schwimmbad, Spa und Parkplätzen. Für die Tragwerksmodellierung und Ingenieursdienstleistungen zeichnete WSP als Planungs- und Beratungsunternehmen für das Bauwesen verantwortlich.
RAM-Software für komplexe Geometrie
Entwickelt von St. George und entworfen von Simpson Haugh Architects, liegt der Wolkenkratzer auf der Südseite der Blackfriars Bridge mit Blick auf die Themse und einer spektakulären Aussicht auf St. Paul‘s Cathedral, Tower Bridge, Big Ben und das Parlament.
Da der Projektstandort unterschiedliche Höhen aufwies und man zudem verbliebene Teile eines zuvor abgerissenen Gebäudes berücksichtigen musste, ließ sich mithilfe von 3D-Laserscanning das neue dreistöckige Untergeschoss 13 Meter tief um die örtlichen Gegebenheiten herumplanen. WSP war aber auch für die Tragwerksentwicklung der komplexen Geometrie des 170 Meter hohen Gebäudes verantwortlich. Mit MicroStation, RAM Concept und RAM Structural System stand ihnen hier eine integrierte BIM-Lösung zur Rationalisierung von Arbeitsabläufen zur Verfügung.
Da sich St. George eine starke Marketing- und Vertriebspräsenz vor Ort wünschte, entwickelte man ein temporäres dreistöckiges Gebäude mit Stahlrahmen und Appartements als Marketing-Suite. Um das Gebäude auf Bodenebene abzustützen, wurde die Bodenplatte teilweise modelliert und mit Bodenpfeilern abgestützt. Diese Pfahlkonstruktion ermöglichte eine Kombination temporärer und permanenter Arbeiten und ließ eine Top-Down-Konstruktionsabfolge zu. Dank der Inter-operabilität der Bentley-Technologie konnte WSP die 3D-Planungsmodelle an den Bauunternehmer weitergeben, um so Logistikpläne zu erstellen und die Abfolge der Arbeitspakete zu bestimmen. Sobald die Arbeiten das Erdgeschoss erreicht hatten, wurde die Marketing-Suite entfernt und der Turmaufbau begann.
Die Hauptwartungseinheit des Gebäudes (BMU) ist auf der Dachstruktur des Turms untergebracht, was einen Schacht erforderte, der in die mehrgeschossigen Penthouse-Stockwerke hinabreicht. WSP arbeitete hierfür mit seinen internen Fassadenberatern zusammen und tauschte 3D-MicroStation-Modelle untereinander aus, um eine Beeinträchtigung des Penthousebereichs durch die BMU zu vermeiden. Anhand des WSP-Modells konnte man nun eine kompaktere Größe für die BMU wählen.
Nachgespanntes Design
Die Geometrie des Turms besteht aus einer schmalen Grundfläche, die sich nach oben hin zu einer Ausbuchtung ausdehnt, von wo die private Aussichtslounge einen Panoramablick über London bietet. Anschließend kehrt die Form wieder zurück und setzt sich weiter nach oben fort. Ein mehrstöckiges Penthaus belegt die obersten fünf Etagen des 50-geschossigen Gebäudes. Der Turm umfasst 274 Luxusappartments, die sich im Entwurf durch Bodenplatten in verschiedenen Formen und Größen voneinander unterscheiden, so dass keine Wohnung im Gebäude der anderen gleicht.
WSP benötigte nicht nur eine statische Lösung für die unterschiedlichen Grundrisse, sondern musste auch Stützsäulen konstruieren, die eine unbehinderte Aussicht ohne störende Elemente in den Appartementräumen bieten.
Basierend auf dem MicroStation-Architekturmodell und unter Einsatz von RAM Concept sollte die optimale Tragwerkslösung eine Kombination aus der Montage von Stahlbetonsäulen zwischen den Trennwänden und kreisförmigen Säulen darstellen. Unter all den unterschiedlich großen Wohnungen musste das Team die Position der Säulen so ermitteln, dass sie am besten zu den einzelnen Grundrissen passte, aber gleichzeitig auch die Stabilität sicherstellte. Die interoperable Technologie von Bentley optimierte die Säulenkonfiguration und erstellte automatisch Anordnungszeichnungen, die für den Bau an den Bauunternehmer weitergegeben wurden.
Schließlich gestaltete WSP mit der RAM-Software RAM Concept die Appartement-Bodenplatten so dünn wie möglich. Das Team modellierte und konstruierte 225 Millimeter dicke, nachgespannte Betonbodenplatten. Dadurch ließ sich das Eigengewicht der Böden verringern, um eine maximale Plattenbreite und Deckenhöhe zu erreichen und so den Wohnungswert zu steigern. Das nachgespannte Plattendesign sparte insgesamt zehn Prozent des Betonvolumens alleine für die Böden ein, was fünf zusätzlichen Bodenplatten entspricht.
Interoperabiltät sorgt für Stabilität
Mit dem RAM Concept führte WSP eine Finite-Elemente-Modellierung durch, um das gesamte Gebäude zu analysieren und die Stabilität bei Wind und zahlreichen anderen Kräften zu testen. Das Team verwendete den Vernetzungsalgorithmus der Software, um das Bodenplattenbetonverhalten genau vorherzusagen. Um das Stabilitätssystem zu entwerfen und ein allgemeines Gebäudemodell zu erstellen, integrierte man die Ergebnisse in andere Softwareprodukte.
Der glanzvolle Höhepunkt des One-Black-friars-Turms ist das mehrstöckige Penthaus. Um eine bauliche Rahmenlösung für den teuersten Teil des Gebäudes zu finden, nutzte das Planungsteam die RAM-Software zur Entwicklung von statischen Stützelementen für das Glasdach. Mit der Software zur Planung und Berechnung von Tragwerken von Bentley entwickelte WSP eine Transferplatte zur Unterstützung des gesamten Eigengewichts des Dachs. Das Team führte eine detaillierte Verformungsanalyse durch, bei der auch die statische Stabilität der Haupt-BMU auf verschiedenen Transferplatten untersucht wurde. Die Interoperabilität der Bentley-Software optimierte die Berechnung und ermöglichte damit die statische Stabilität der Gebäudegeometrie, um ein unverwechselbares Design zu erschaffen.
Statische Lösungen durch RAM-Software optimieren
Im Einklang mit dem eleganten Design des Turms wollten die Architekten am Boden des Gebäudes Säulen integrieren. Diese waren am Sockel schmal und erstreckten sich zehn Meter in die Höhe, weshalb man hochfesten Beton einsetzte, um eine optimale axiale Steifigkeit und Festigkeit sicherzustellen.
Der Kunde wünschte sich jedoch ein zwei-stöckiges Zwischengeschoss über der Lobby, ohne dass die Säulen den offenen Lobbyraum störten. Mit RAM Structural System entwickelte WSP dafür einen Stahlrahmen und hängte das gesamte Rahmensystem an der ersten Bodenplatte des Wohnbereichs auf. Mit RAM Concept ließ sich die Dicke der Platte auf der ersten Ebene erhöhen, so dass sie die Rahmenlasten tragen konnte. Zudem war sicherzustellen, dass die nachgespannten Bodenplatten für die unterschiedliche Gestaltung der Appartements statisch gestützt waren. Nach zahlreichen Entwurfsiterationen entschied man sich für eine kombinierte Lösung aus laufenden, geneigten und geteilten umgekehrten Y-Säulen. Da die geneigten Säulen auch horizontale Kräfte erzeugten, nutzte man die Bodenplatten, um die horizontal wirkenden Kräfte zu binden.
Schließlich war die Seitenstabilität wie bei allen hohen Gebäuden ein entscheidender Faktor. Bei Wohngebäuden wie dem One-Blackfriars-Turm sind die Gebäudekerne im Vergleich zu kommerziellen Gebäuden meist kleiner. Um eine seitliche Stabilität sicherzustellen, wurde ein gestaffeltes Stützauslegersystem entwickelt, das verlängert und an den Säulen befestigt wurde. So hatte das Bauteam auch Zugang zu jedem Stockwerk.
Von Aidan Mercer.
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